Israel: Netanjahu fordert Einheitsregierung - Gantz wittert Finte

Israel: Netanjahu fordert Einheitsregierung - Gantz wittert Finte
Benny Gantz verkündete, er wolle selbst eine "breite, liberale Einheitsregierung" als Ministerpräsident anführen.

Nach der Wahl in Israel hat Ex-Militärchef Benny Gantz vom oppositionellen Mitte-Bündnis Blau-Weiß das Amt des Regierungschefs für sich reklamiert. Er wolle eine "breite, liberale Einheitsregierung" anführen, sagte der 60-Jährige am Donnerstag in Tel Aviv.

Er reagierte damit auf einen Aufruf des rechtskonservativen Regierungschefs Benjamin Netanjahu, sich einer Großen Koalition seines Likuds mit rechten und religiösen Parteien anzuschließen. Gantz wertete diesen Vorstoß allerdings als Finte Netanjahus.

Dritter Wahlgang befürchtet

"Blau-Weiß hat bei der Wahl gesiegt, sie ist die größte Partei", sagte Gantz. Sein Parteifreund Yair Lapid sagte, Netanyahu sei nicht bereit, die Wahlergebnisse zu akzeptieren und wolle das Land zu einem dritten Wahlgang zerren.

Netanyahu erklärte, er sei "überrascht und enttäuscht", dass Gantz' Partei sein Angebot abgelehnt habe, eine Große Koalition zu bilden. Netanjahu hatte seinen ärgsten Rivalen heute zur Bildung einer breiten Einheitsregierung aufgerufen. Die Ergebnisse zeigten, dass er die von ihm versprochene rechtsgerichtete Regierung nicht bilden könne, sagte Netanyahu am Donnerstag in einer Videobotschaft. 

Pattsituation

Aus der Wahl ging Medienberichten zufolge kein klarer Sieger hervor. Stattdessen zeichnete sich wie schon im April ein Patt zwischen Netanjahus konservativen Likud-Block und dem in der politischen Mitte angesiedelten Bündnis Blau-Weiß von Gantz ab. Gantz' Liste Blau-Weiß kann laut Berichten israelischer Medien mit einem Sitz mehr rechnen als Netanjahus Likud (31 Sitze), eine eigene Mehrheit hat aber keines der beiden Lager. Mit der Möglichkeit einer Einheitsregierung könnte Netanjahu verhindern wollen, dass seine Ära nun endet.

Netanjahu sagte bereits am frühen Mittwochmorgen, er sei bereit zu Verhandlungen über die Bildung einer "starken zionistischen Regierung". Damit schien er Offenheit für die Bildung einer Einheitsregierung zu signalisieren. Herausforderer Gantz sprach sich sehr offen für die Bildung einer Einheitsregierung aus. "Wir werden uns dafür einsetzen, eine breite Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die den Willen des Volkes zum Ausdruck bringt", sagte Gantz.

Fraglich ist, wer eine Regierung der nationalen Einheit anführen könnte. Denn Gantz hat im Wahlkampf deutlich gemacht, dass er mit Netanjahu keine Koalition eingehen würde - ohne allerdings die Idee einer Einheitsregierung auszuschließen.

Zusammen mit den ultraorthodoxen Parteien Shas (neun Sitze) und Vereinigtes Torah-Judentum (acht Sitze) sowie der rechtsradikalen Partei Yamina (sieben Sitze) unter Vorsitz der ehemaligen Minister Naftali Bennett und Ayelet Shaked käme Netanyahu nur auf 56 Sitze. Zur Regierungsbildung wäre eine Mehrheit von 61 Sitzen in der Knesset notwendig.

Netanjahu, der mit gut 13 Jahren an der Regierungsspitze der am längsten amtierende Ministerpräsident Israels ist, sagte am Mittwoch wegen der unklaren Lage nach der Wahl seine Reise zur Generaldebatte der UN-Vollversammlung in New York in der kommenden Woche ab, wie AFP aus Regierungskreisen erfuhr.

Kampf um Machterhalt

Bereits nach der Parlamentswahl im Frühjahr hatte es eine Pattsituation gegeben, so dass Netanyahu mit einer Regierungsbildung scheiterte. Durch das Ansetzen einer erneuten Parlamentswahl verhinderte der Likud, dass Präsident Reuven Rivlin einen anderen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragte.

Rivlin will eine dritte Wahl nun vermeiden. Beobachter sehen deshalb die Möglichkeit, dass er diesmal nicht wieder Netanyahu, sondern Gantz mit der Regierungsbildung beauftragen könnte. Netanyahu droht zudem eine Anklage wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Vertrauensmissbrauchs.

Gantz könnte sich mit der Demokratischen Partei (fünf Sitze) und der Arbeitspartei (sechs Sitze) zusammenschließen. Rein hypothetisch könnte auch die Vereinigte Liste der arabischen Parteien, die nach jetzigem Stand mit 13 Mandaten drittstärkste Kraft wurde, Gantz unterstützen.

Eine von Netanjahu angeführte Koalition will die Liste nicht unterstützen. Ob sie eine Allianz mit Gantz eingehen würde, ist unklar. Parteichef Ayman Odeh kann sich nach eigenen Angaben vorstellen, Gantz für die Bildung einer Koalition vorzuschlagen. Doch selbst dann bekäme Gantz nur 55 Abgeordnete zusammen.

Auch Lieberman für "Regierung der nationalen Einheit"

Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman hat sich bereits für eine Große Koalition ausgesprochen, wird vermutlich aber nicht in ein Regierungsbündnis mit arabischen und linken Parteien einwilligen. "Es gibt nur eine Option für uns, und das ist die Bildung einer breiten Regierung der nationalen Einheit", sagte Lieberman. Er schlug ein Bündnis seiner laizistisch-nationalistischen Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) mit dem Likud von und Blau-Weiß vor. Liebermans Partei könnte mit voraussichtlich neun Sitzen die Rolle des Königsmachers zufallen.

Cupal (ORF) zur Wahl in Israel

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