Zwei Jahre nach dem Hamas-Massaker wächst in Israel die Hoffnung auf Frieden

Von Markus Ponweiser aus Haifa
Wieder ist es diese Zeit im Jahr, in der Israel innehält. Die Feiertage reihen sich aneinander – Rosch HaSchana, Jom Kippur, Sukkot – Tage, an denen die Straßen leerer werden und viele, vor allem säkulare Israelis, verreisen.
Der 7. Oktober, der Tag des Massakers der Terrororganisation Hamas, im Zuge dessen mehr als 1.600 Israelis brutal ermordet wurden, fällt auch heuer wieder in diese Woche des Laubhüttenfestes Sukkot, das an den Auszug der Juden aus Ägypten erinnern soll. An die langen Wege durch die Wüste und das Leben unter offenem Himmel, an eine Zeit des Übergangs, der Unsicherheit, aber auch des Glaubens und der Gemeinschaft.
Über Haifa liegt eine gedämpfte Ruhe. Die Züge sind leerer als sonst, die Geschäfte sperren früher zu, selbst das Meer scheint leiser zu rauschen.
Mindestens 1.219 Menschen wurden in Israel am 7. Oktober 2023 getötet – Zivilisten, Polizisten, Soldaten. Das Massaker steht für beispiellose Brutalität des koordinierten Hamas-Angriffs an diesem Morgen. Dokumente und Zeugnisse belegten Morde, Misshandlungen und Vergewaltigungen.
Als Reaktion mobilisierte Israel Hunderttausende Reservisten. Es folgten Luftangriffe und die umfassende Bodenoffensive in Gaza. Laut Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums in Gaza sollen in den zwei Jahren des Krieges bisher 66.000 Menschen gestorben sein.
Trumps Friedensplan hat bei vielen Israelis Zuversicht geweckt
Das Licht wirkt in diesen letzten Sommertagen weicher, müder, als hätte es genug gesehen. Trotzdem regt sich Hoffnung. Der von den USA und mehreren arabischen Staaten unterstützte Friedensplan hat bei vielen Israelis Zuversicht geweckt.
Nach Monaten des Kriegs, nach endlosen Geiselverhandlungen und nächtlichen Alarmen scheint ein Moment möglich, in dem das Land kurz aufatmen kann – kein Freudentaumel, dafür ist die Erschöpfung zu groß, aber die Last auf den Schultern wirkt für einen Augenblick etwas leichter.
Ronen, 55, steht in seinem Friseursalon in Haifa und fegt abgeschnittene Haare vom Boden. Er sagt, er wolle nur noch das Wort Frieden hören. „Wenn jemand in meinem Geschäft vom Krieg anfängt und meint, dass wir ihn weiterführen müssen schmeiß ich ihn gleich wieder raus“, sagt er. Zwei Jahre lang habe er kaum einen Tag erlebt, an dem das Thema nicht irgendwie im Raum stand – in Gesprächen, im Radio, in der Stille dazwischen. Jetzt habe er schon lange genug. Er erinnert sich noch gut an den siebenten Oktober vor zwei Jahren.
Am Tag danach habe er trotzdem geöffnet, einfach, weil er nicht gewusst habe, was er sonst tun sollte. Aber niemand sei gekommen. „Die Straßen waren leer“, sagt er, und es habe sich angefühlt, als würde nichts mehr sein wie zuvor.
Spürbare Aufbruchsstimmung
Auch jetzt, zwei Jahre später, klingt noch etwas von dieser Leere nach – nur, dass es nun eine Aussicht auf halbwegs Normalität gibt. Am Samstagabend, wenn die Sonne über dem Karmel versinkt, füllt sich ein breiter Kreuzungsbereich im Zentrum Haifas wieder mit Menschen.
Seit fast zwei Jahren kommen sie zu Tausenden hierher: mit Fahnen, Transparenten, Trommeln, mit heiseren Stimmen vom Rufen. Doch diesmal ist etwas anders. In den Parolen, im Rhythmus der Rufe liegt zum ersten Mal wieder Optimismus.

Begräbnis eines israelischen Soldaten in Haifa.
Dem langen trotzenden Widerstand gegen die Regierung mischt sich nun eine spürbare Aufbruchsstimmung bei. Die Forderung nach der Rückkehr der Geiseln, die Rufe nach einem Ende des Kriegs – sie klingen nicht mehr wie ferne Wünsche, sondern erscheinen zum Greifen nahe. Zwischen den Demonstrierenden stehen auch Aktivisten mit Fotos getöteter Kinder aus Gaza. Sie halten die Bilder still in die Menge, sagen nichts.
Manche der Protestierenden bleiben kurz stehen, werfen einen Blick auf die Fotos, halten inne – und ziehen dann weiter Richtung Kundgebung. Es gibt keine Aggression, kein Ausweichen. Nur vielleicht ein stilles, schweres Einverständnis, dass ein dauerhafter Frieden wohl hart erarbeitet werden muss.
Am Kreisverkehr im Zentrum Haifas sind rundherum Sessel aufgestellt, die an die verbliebenen Geiseln in Gaza erinnern sollen. Daneben die Zahl 719 – die Tage, die seit ihrer Verschleppung vergangen sind. Immer wieder stehen Angehörige und Aktivisten mit den Bildern der Entführten daneben, halten sie den vorbeifahrenden Autos entgegen. Viele Fahrer hupen, um ihr Mitgefühl und ihre Anerkennung auszudrücken.
Gedenkveranstaltungen
In diesen Tagen scheint zum ersten Mal Hoffnung mitzuschwingen, dass ihr Martyrium bald ein Ende findet. In ganz Israel sind für den 7. Oktober im ganzen Land Gedenkveranstaltungen geplant. Dass sie diesmal mit dem Ende des Kriegs zusammenfallen könnten, macht das Erinnern an die damals Ermordeten weniger schwer – und spendet zumindest ein wenig Trost.
Am Abend, wenn das Licht über der Bucht verblasst, spiegeln sich in den Autoscheinwerfern die leeren Sessel auf dem Kreisverkehr. Und für einen Moment wirkt es, als warte die Stadt selbst darauf, dass die Geiseln zurückkehren.
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