Nahost: Krieg mit geänderten Allianzen
Die radikal-palästinensische Hamas und Israel führen nach drei Tagen Waffenruhe wieder Krieg (siehe Bericht unten) – und das war absehbar. "Unsere Kampfzellen verlieren die Geduld", hieß es bereits warnend am Vorabend aus Gaza. Ohne eindeutigen Sieg im Kampf fällt der Hamas-Führung ein diplomatischer Kompromiss am Verhandlungstisch in Kairo schwer. Wenn er nicht sogar unmöglich ist.
Die führende Rolle in den Vermittlungen in Kairo fiel der neuen ägyptischen Regierung unter Abdel Fatach al-Sisi zu. Und den Maklern kommt die Fortführung der Kämpfe nicht gerade ungelegen: Gerade erst haben sie die Moslembrüder im eigenen Land unter (gewalttätige) Kontrolle gebracht, für die radikale Hamas hegt die Militärherrschaft in Kairo daher auch keine freundschaftlichen Gefühle. Kairos Kalkül: Noch eine Runde Krieg, und die Hamas würde wieder harte militärische Schläge einstecken müssen – das dadurch ebenfalls verstärkte Leid der Zivilbevölkerung würde weltweit ohnehin Israel angerechnet.
Und je schwächer die Hamas, desto aussichtsreicher die ägyptischen Bemühungen, die Alleinherrschaft der Hamas-Putschisten zu beenden: Kairo will die palästinensische Fatah und Mahmud Abbas aus Ramallah auch in Gaza wieder ins politische Spiel bringen.
Israel hineingezogen
Israel mag die Fatah auch lieber sein als die radikale, von ihrem militärischen Arm getriebene Hamas. Aber die Regierung von Premier Benjamin Netanyahu hatte von Anfang an kein Interesse an einem Waffengang. Doch der Dauerbeschuss der Hamas zog Israels Armee immer tiefer in den Gazastreifen.
Die militärische Unlust paarte sich dabei mit einer gehörigen Portion politischem Unwillen, auf die sich verändernden Bündnisse und Interessen in Nahost einzugehen.
Dabei war in Jerusalem klar, dass das Kriegsleid der Gaza-Bewohner gezielt provoziert ist und zum Kampfkonzept der Hamas gehört. Die Hamas machte daraus keinen Hehl: "Das heldenhafte Ausharren unseres Volkes ist die Grundlage unseres Widerstandes."
Doch wusste die Hamas-Führung lange vor Ausbruch der Kämpfe, dass die Menschen in Gaza mit der politischen Arbeit der Hamas unzufrieden waren. Hamas investierte in Tunnel und Raketen, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung. Deren Unmut zeigte sich immer deutlicher. So war es letztlich auch der Druck von unten, der im Juni die politische Hamas-Führung in eine Einheitsregierung mit der Fatah zwang.
Für die Hamas-Kampfzellen ein schmachvolles Nachgeben der politischen Führung gegenüber dem eigentlich Palästinenser-brüderlichen Erzfeind Fatah. Und der eigentliche Grund, den Beschuss Israels wieder aufzunehmen.
Im Gazastreifen findet ein Machtkampf der arabischen Welt statt, dessen Fronten erst schemenhaft zu erkennen sind. Es geht auch um die Vormacht, die Ägypten im Nahen Osten wieder einnehmen will. Und nicht einmal der viel beschworene Konflikt Sunniten/Schiiten reicht zur Einordnung der Gefahr aus, die vom Irak über Syrien und Libanon aus die gesamte arabische, sogar moslemische Welt bedroht.
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nimmt in diesem Nahen Osten nur noch eine Randstellung ein. Was die Hamas-Führung nicht begreifen kann, so lang ihre bewaffneten Kräfte keine politische Zugeständnisse zulassen.
Was Israels Regierung gerade erst zu begreifen beginnt. Sie führte die letzte Kampfrunde bereits im Windschatten der neuen Partner in der arabischen Welt. Sie nutzte die stillschweigende Unterstützung Kairos, Riads und Ramallahs (Fatah-Sitz). Aber auch sie muss sich politisch neu ausrichten. " Abbas ist doch nicht gleich Hamas", schrieb Haaretz in Anspielung auf die bisherige Weigerung Netanyahus, diesen Unterschied zur Kenntnis zu nehmen. Ist er aber bekannt, ist immer neuer Siedlungsbau kein passendes Konzept mehr.
Die israelische Armee hat ihre Angriffe auf den Gazastreifen in der Nacht auf Samstag fortgesetzt. Die Luftwaffe habe rund 30 Ziele beschossen, sagte eine Militärsprecherin am Samstag in der Früh. Seit Freitag seien dabei fünf Menschen ums Leben gekommen, rund 30 Personen seien verletzt worden, berichtete der Sprecher des Gesundheitsministeriums in Gaza, Ashraf al-Kidra, auf seinem Twitter-Account. Auch im Westjordanland ist ein Toter zu beklagen: Ein junger Palästinenser ist dort seinen Verletzungen erlegen, nachdem er bei Protesten von israelischen Soldaten angeschossen worden war. Bei den Protesten in Hebron wurden nach palästinensischen Angaben etwa 30 Palästinenser verletzt, als die Armee sie mit Gummigeschoßen und scharfer Munition beschoss.
Nach erneutem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen nahm am Freitag auch Israel seinen Militäreinsatz wieder auf und brach die Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Kairo ab. Bei dem israelischen Militäreinsatz, der am 8. Juli begonnen hatte, wurden fast 1900 Palästinenser getötet. Nach Angaben der UNO waren mehr als 1350 zivile Opfer darunter. Auf israelischer Seite gab es 67 Todesopfer.
Die USA und die UNO haben eine rasche Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine Gaza-Waffenruhe gefordert. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und US-Regierungssprecher Josh Earnest riefen Israelis sowie radikale Palästinenser auf, von weiteren militärischen Aktionen abzusehen.
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