Die Wende in Gaza: Feuerpause und erste freie Geiseln ab Sonntag

Kinder in Gaza warten auf Essensausgabe
Jubel im Gazastreifen. Jubel in Israel: Die Massen auf beiden Seiten unterstützen das in der Nacht zum Freitag in Katar unterzeichnete Waffenstillstandsabkommen mit seinem auf mehrere Wochen verteilten Austausch israelischer Geiseln und Hamas-Terroristen. Auch Israels Sicherheitskabinett hat das Abkommen mit der Hamas für eine Waffenruhe im Gazastreifen und den Austausch von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge am Freitag gebilligt.
Auf beiden Seiten gibt es aber auch Gegner des Abkommens. Da es in vielen Punkten unklar bleibt, bietet es seinen Gegnern mehr als eine Möglichkeit, die Umsetzung des Plans doch noch zu sabotieren.
Die Freilassung der ersten drei Geiseln ist für Sonntagmittag angekündigt. Hamas-Sprecher im Gazastreifen äußerten noch am Donnerstag die Erwartung, die israelische Armee müsse ihre Angriffe bereits ab Freitag einstellen: Nur so könne sie die auf zahlreiche Verstecke verteilten Geiseln einsammeln. Die USA gehen allerdings davon aus, dass die Feuerpause ebenfalls Sonntagmittag beginnt.
Die auf sechs Wochen verteilte Freilassungen der ersten 33 Geiseln war bereits abgemacht. Doch wer von den Geiseln auf dieser Liste noch lebte, blieb unklar.

Israels Sicherheitskabinett tagte und nahm den Waffenstillstandsdeal an
Unklar war auch, wer von den aus israelischen Gefängnissen entlassenen Terroristen zurück in seine Heimat darf oder ins Ausland deportiert wird. Kampfeinstellung? Israels Armee führte auch noch am Donnerstag in Gaza Stadt Angriffe auf Hamas-Ziele durch. Mindestens 50 Menschen wurden dabei getötet. Darunter ein namentlich bekannter Hamas-Angehöriger, der am Massaker des 7. Oktobers 2023 beteiligt war, bei dem die Hamas-Islamisten 1200 Israelis ermordeten.
Noch am Donnerstag feuerte auch die Hamas wieder Raketen auf israelische Grenzorte. Obwohl die Kampfkraft der Hamas weitgehend zerstört ist, rekrutiert sie wieder Jugendliche. Die erhoffen sich von einer Mitgliedschaft bessere Nahrungsversorgung für sich und ihre Familien.

33 israelische Geiseln sollen ab Sonntag freikommen
Neuer Hamas-Chef in Gaza ist Muchammad Sinwar. Ein Bruder des im Oktober getöteten vorherigen Hamas-Chefs Jechije Sinwar. So weit wie möglich, vermeidet er den offenen Kampf mit Israels Armee. Seine verbliebenen Kräfte legen in den Ruinen Gazas zahlreiche Bombenfallen an. Fast täglich meldet die israelische Armee die Namen gefallener Soldaten.
Kriegsgewinnler
Bewaffnete der Hamas sind derzeit vor allem mit der „Konfiszierung“ der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung beschäftigt. Sie zweigt die für sie notwendigen Nahrungsmittel und Kraftstoffe ab. Erst der Rest geht - gegen Bezahlung und über Zwischenhändler – an die Zivilbevölkerung. Wobei zusätzlich auch noch kriminelle Clans auch auf diesem Weg ihren Profit als Kriegsgewinnler machen.
Wichtigster Versorger der zu einem großen Teil evakuierten Gaza-Bevölkerung ist und bleibt aber das Flüchtlingshilfswerk UNRWA. Auch nach Abzug aller Schacher-Verluste. Israel wirft der UNRWA vor, offen mit der Hamas zu kooperieren. UN-Sprecher erklären die Kollaboration als erzwungen und im Krieg unumgänglichen Begleitschaden.
Doch Israel fordert statt einer dringend notwendigen Änderung des Mandats der UNRWA deren vollständige Auflösung. Schweden und die Niederlande haben bereits ihre Hilfsgelder an UNRWA gestrichen. Ein neues Gesetz, dass die Zusammenarbeit israelischer Einrichtungen mit UNRWA verbietet, tritt in etwa zwei Wochen in Kraft.
"Der Tag danach"
Die Folgen für die Versorgung der Gaza-Zivilbevölkerung sind nicht abzusehen. Überhaupt sieht das neue Abkommen neben einem nebulös formulierten Austausch-Plan keine verpflichtenden Regeln für die Zukunft im Gazastreifen nach Inkrafttreten des Waffenstillstands vor. Für den „Tag danach“ gibt es keine konkreten Entwürfe. Alles bleibt offen: Totaler Machtwechsel? Steuert Hamas im Hintergrund die Geschicke mit?
Was heißt überhaupt Inkrafttreten? Gibt ein übereifriger Hamas-Bewaffneter einen Schuss ab, ist dann das Abkommen hinfällig? Oder muss es schon eine Rakete sein? Auch die kriminellen Clans verfügen über Raketen. Mit einem Schuss könnten sie so ihre Kriegsprofite schützen.
Letztlich garantieren für die Einhaltung des Abkommens seine Vermittler in Katar, Ägypten und den USA. Sind diese sich aber in allen Fragen einig? Haben sie eine gemeinsame Antwort auf alle zu erwartenden Probleme?
Israels Regierung glaubt an die uneingeschränkte Unterstützung der USA für eine Wiederaufnahme der Kämpfe, sollte es zum Bruch des Abkommens kommen. Doch will der neue US-Präsident tatsächlich die Messias-Rolle spielen, die Israels extreme Rechte ihm zuträumt?
Auch Donald Trumps neue Mannschaft sieht Diplomatie als „give and take“. Als Business. Und Krieg ist kein gutes Geschäft. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem alten Nahostbeauftragten Brett McGurk und dem neuen Steve Witkoff vor Unterzeichnung dieses Abkommens zeigte ihr gemeinsames Ziel: Den Krieg in Gaza beenden. Danach die diplomatische und militärische Zusammenarbeit der pro-westlichen Nahost-Staaten ausweiten und verstärken.
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