Narendra Modi: Vom Teeverkäufer zum Premier

Die größte Wahl in der Geschichte der Menschheit bringt einen politischen Umschwung.

Die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt wählte einen Machtwechsel: Bei der fünf Wochen dauernden Parlamentswahl fuhren die Hindu-Nationalisten wie erwartet einen Erdrutsch-Wahlsieg ein. Die bisherige Oppositionspartei BJP und ihr unternehmerfreundlicher Spitzenkandidat Narendra Modi dürften 279 der 543 Parlamentssitze und damit eine absolute Mehrheit erreichen.

Kein anderer Politiker spaltet Indien allerdings so sehr wie Modi: Seine Anhänger sehen im 63-Jährigen einen effizienten Verwalter, der als Regierungschef in seinem Heimatstaat Gujarat die Korruption in den Griff bekommen und Investoren angelockt hat. Modis Gegner erleben ihn hingegen als intoleranten, autoritären Machtmenschen. Besonders die Muslime in Indien, die rund 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zittern vor dem Hindu-Nationalisten. Unter seiner Regierung metzelten Hindu-Mobs mehr als 1000 Muslime nieder, vergewaltigten, verstümmelten und verbrannten. Politische Studien bewerten die Unruhen als „Pogrome“, weil sie staatlich gelenkt worden seien. Gewählt wurde Modi auch von vielen jungen Indern. Sie hoffen, dass Modi die dringend benötigten Jobs in der Industrie schafft. Außerdem bietet Modi viel Raum für Identifikation: Er stammt aus einer niedrigen Kaste, wuchs in einfachen Verhältnissen in der Tempelstadt Vadnagar auf und half seinem Vater, am Bahnhof Tee zu verkaufen. Sein Aufstieg begann in einer Freiwilligenorganisation, die an die Hegemonie des Hinduismus glaubt– ehe er in den 80er-Jahren in die Politik ging.

Der Glanz ist abgebröckelt von den globalen Shootingstars, die als BRIC-Staaten bekannt sind: In Brasilien protestieren die Menschen vor der Fußball-WM gegen Misswirtschaft. Russlands Großmachtambitionen steuern das Land in die Rezession. Und China ringt um ein Geschäftsmodell, das ohne Kreditblase auskommt.
Bleibt Indien: Dort sind die Aktien auf Höhenflug. Seit Jahresbeginn hat der Sensex, Leitindex der Börse Bombay, fast 14 Prozent zugelegt; am Freitag lag er bis zu sechs Prozent im Plus. Die Anleger bejubelten den Sieg von Oppositionsführer Narendra Modi, dem der Ruf eines wirtschaftsfreundlichen Reformers vorauseilt. Er soll einlösen, was Vorgänger-Premier Manmohan Singh schuldig geblieben ist. Der Ökonom war bei seinem Amtsantritt 2004 ebenfalls mit Vorschusslorbeeren bedacht worden. Er sollte dem Riesenstaat mit Land- und Arbeitsmarktreformen sowie der Öffnung für Investoren zur Blüte verhelfen. Zehn Jahre später fällt die Bilanz gemischt aus: Zwar haben viele Inder den Weg aus der Armut gefunden. Derzeit leiden sie aber unter der hohen Inflation (9 Prozent, der zweithöchste Wert Asiens nach Pakistan). Experten bezweifeln, dass Modi die Erwartungen einlösen kann. Das Wachstum ist auf 4,9 Prozent gefallen, knapp am Zehnjahrestief. Das hohe Budgetdefizit lässt Modi zudem wenig Handlungsspielraum.

In Indien verbuchen der Hindu-Nationalist Narendra Modi und seine BJP bei der Parlamentswahl einen Erdrutschsieg. Der wirtschaftsfreundliche Modi hat Reformen für das mit 1,2 Mrd. Einwohnern nach China bevölkerungsreichste Land angekündigt. Er will die Wirtschaft ankurbeln und Millionen neue Jobs schaffen. Die neue Regierung in dem multi-ethnischen Bundesstaat steht vor riesigen Herausforderungen:

MEHRWERTSTEUER

Das ehrgeizigste Projekt ist eine Steuerreform, mit der das Wirrwarr in den einzelnen Bundesstaaten durch eine einheitliche Steuer ersetzt werden soll. Das allein könnte ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozentpunkten ausmachen. Widerstand dürfte allerdings von der Kongresspartei und den Bundesstaaten kommen, die Einnahmeneinbußen befürchten. Für eine so umfassende Steuerreform ist eine Verfassungsänderung nötig.

NOTENBANK

Die Notenbank Reserve Bank of India (RBI) soll größeres Augenmerk auf die Preisstabilität richten. Künftig soll ein Ausschuss verantwortlich für die Geldpolitik sein und nicht allein der RBI-Gouverneur. Möglicherweise wird Modi auch das Schuldenmanagement von der RBI verlagern, da es zu Interessenskonflikten mit der Geldpolitik kommen kann.

PRIVATISIERUNG

Um das rasch steigende Haushaltsdefizit einzudämmen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, wird die Regierung wohl Anteile an staatlich geführten Unternehmen verkaufen.

SUBVENTIONEN

Wenn die Regierung das Haushaltsdefizit im Zaum halten und eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch Ratingagenturen vermeiden will, muss sie Subvention abbauen. Diese machen mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Die BJP hat sich größere Haushaltsdisziplin auf die Fahne geschrieben.

ARBEITSPLÄTZE

Modis Partei strebt auch eine Arbeitsmarktreform an und will pro Jahr zehn Millionen Stellen für die Jugend schaffen. Eine Gesetzesänderung dürfte schwierig werden. Ein Weg könnte mehr Wettbewerb zwischen den indischen Bundesstaaten sein.

VERTEIDIGUNG

Indien ist der weltweit größte Waffenimporteur. Das Land könnte viel Geld sparen, wenn es mithilfe ausländischer Investoren mehr Rüstungsgüter selbst produzieren würde. Derzeit ist eine ausländische Beteiligung an Firmen auf 26 Prozent begrenzt, die BJP will hier einen größeren Anteil erlauben.

VERSICHERER

Die BJP will ausländischen Investoren mehr Zugang zum lukrativen Versicherungsmarkt gestatten. Frühere Versuche, die Grenze von 26 Prozent der Anteile auf 49 Prozent zu erhöhen, scheiterten am Widerstand der Beschäftigten.

BANKEN

Die neue Regierung wird den staatlichen Banken im Kampf gegen faule Kredite unter die Arme greifen müssen, die durch ein langsameres Wirtschaftswachstum und steigende Zinsen verursacht wurden. Kredite, die von einem Zahlungsausfall bedroht sind, gefährden die Erholung der drittgrößten Volkswirtschaft Asiens.

ENERGIE

Die Regierung könnte hier auf das sogenannte Gujarat-Modell zugreifen. In dem von Modi regierten gleichnamigen Bundesstaat wurden unterschiedliche Energiepreise für private Verbraucher, Landwirte und Unternehmen eingeführt. Zugleich wird dort rund um die Uhr zuverlässig Strom geliefert.

GASPREISE

Im Jänner wurden neue Preise für heimisches Gas festgesetzt, die von April an zu einer Verdopplung geführt hätten. Die Regulierungsbehörden setzten dies bis nach der Wahl aus. Modi könnte nun eine Überprüfung der Preiserhöhung veranlassen.

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