Mehr als hundert Milliarden Schaden: Wie die Houthis Schiffe aus dem Westen erpressen

von Geoffrey Ebner
Im Dezember erreichte Schiffstransportunternehmen eine Mail aus dem Jemen – Absender: die Houthis. Die schiitische Rebellengruppe hat 2014 die Hauptstadt des Jemens erobert und beherrscht seitdem den Norden des Landes. Unterstützt wird sie mit Waffen und Training vom ebenfalls schiitischen Iran. Gemeinsam mit der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon bilden die Houthis die „Achse des Widerstandes“ gegen die USA und Israel, angeführt vom Iran.
Seit Beginn des Gaza-Konflikts beschießen die Houthis Containerschiffe im Roten Meer. Wer sicher passieren will, muss zahlen. Mit dem Waffenstillstand in Gaza haben die Houthis ihre Angriffe eingestellt. Nun laden die Rebellen in einem Mail zu einem Seminar mit dem zynischen Titel „Sicherheit der Schifffahrt im Roten Meer“, das sich an Unternehmen richtet, die Waren durch die Region verschiffen.
- Hunderttausende sind im Bürgerkrieg im Jemen ums Leben gekommen. Es war eine der größten humanitären Katastrophen weltweit.
- Hervorgekommen sind die Houthis als stärkste Macht Jemens. 2014 haben sie die international anerkannte Regierung aus der Hauptstadt Sana vertrieben und beherrschen seitdem den Norden des Landes.
- Die Houthis sind gemeinsam mit der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah im Libanon Teil der „Achse des Widerstandes“ gegen die USA und Israel, angeführt vom Iran. Ihr Slogan lautet: „Allah ist groß. Tod Amerika. Tod Israel. Verflucht seien die Juden. Sieg dem Islam.“
- So wie der Iran sind auch die Houthis vom schiitischen Islam geprägt. Vom Iran werden ihre Soldaten ausgebildet und mit Waffen unterstützt – darunter iranische Drohnen, welche die Houthis auf Israel abfeuern.
Aufgrund der vielen Anfragen wurde das Seminar auf den 10. Februar verschoben. „So kann sichergestellt werden, dass die Veranstaltung informativer und nützlicher für alle Teilnehmer wird“, heißt es in der Mail, die Reuters vorliegt. Die Houthis würden sich außerdem über Ideen und Input der Unternehmen freuen, um „die Diskussion zu bereichern“.
Die islamistische Rebellengruppe betreibt ein organisiertes System, welches das Rote Meer während des Gaza-Konfliktes de facto zu einer Mautstraße gemacht hat. Schiffe, die die Meerstraße durchfahren wollen, mussten per E-Mail um eine Genehmigung bitten. Die Korrespondenz mit den Houthis wird von den Reedereien als äußerst höflich und freundlich beschrieben.
Oft sind die Genehmigungen mit einer obligatorischen Zahlung verbunden, die einer Maut für das Rote Meer gleichkommt. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen sollen die Houthis auf diese Weise rund 180 Millionen US-Dollar pro Monat erpresst haben – etwa die Hälfte ihrer Gesamteinnahmen. Dazu hat die Gruppe ein komplexes Bankensystem aufgebaut, durch das die Erpressungsgelder fließen.
Entsprechend überrascht waren viele Analysten, als die Houthis den Waffenstillstand in Gaza zum Anlass nahmen, nur mehr Schiffe mit Verbindung zu Israel anzugreifen und solche auf die USA und Großbritannien einzustellen. Die Miliz hat ihre Aktivitäten im Roten Meer immer als Reaktion auf die Offensive Israels in Gaza ausgeschildert. Trotzdem verzichten sie damit potenziell auf über zwei Milliarden US-Dollar im Jahr, wenn man dem Bericht der Vereinten Nationen Glauben schenken darf.

Ein Houthi-Unterstützer feiert den Waffenstillstand in Gaza. Die Houthis drohen, die Angriffe im Roten Meer wieder fortzusetzen, sollte sich Israel aus dem Waffenstillstand zurückziehen
Nur Schiffe mit Verbindung zu Israel?
Die Houthis versprechen, westliche Schiffe ohne Verbindung zu Israel zu schonen. Viele westliche Reedereien haben daran aber Zweifel. Man beobachte die Situation, habe es aber nicht eilig, zum Roten Meer zurückzukehren, sagen die Transportgiganten Maersk und Hapag-Lloyd. Bisher ist noch keine westliche Reederei zum Roten Meer zurückgekehrt. Sie vertrauen den Versprechen der Houthis nicht. Die Vergangenheit gibt ihnen Recht.
Die Houthis haben schon oft Schiffe ohne Verbindung zu Israel angegriffen, unter der Begründung, eine solche Verbindung würde bestehen. Das könnte daran liegen, dass die Houthis mit veralteten oder falschen Informationen gearbeitet haben: Die Gruppe verwendet oft überholte Datenbanken. Die Experten der Vereinten Nationen vermuten aber auch ein anderes, ein finanzielles Motiv: Nicht selten haben die Houthis Schiffe aus freundlich gesinnten Staaten angegriffen oder erpresst.
Auch wenn die Houthis sagen, dass sie Schiffe ohne Bezug zu Israel nicht mehr angreifen, könnten sie trotzdem opportunistisch bleiben, schreiben Noam Raydan und Farzin Nadimi vom Washington Institute, einer Denkfabrik. Westliche Reedereien befürchten, die Houthis könnten die Angriffe jederzeit wieder fortsetzen. Die Miliz droht damit, dies zu tun, falls die USA oder Großbritannien ihre Stellungen wieder bombardieren oder der Waffenstillstand im Gaza fällt.
Ein kostspieliger Umweg
Um keine Erpressungsgelder zahlen zu müssen, sind westliche Reedereien auf alternative Handelsrouten ausgewichen, meist über Afrika und das Kap der Guten Hoffnung. Die Kosten für die zusätzliche Zeit und den extra Treibstoff belaufen sich auf rund 175 Milliarden US-Dollar pro Jahr, schätzt der britische Economist. Zudem gehen Container in den stürmischen Gewässern der afrikanischen Küste verloren. Damit würden sich die Transportkosten pro Container insgesamt mehr als verdoppeln – Kosten, die auf den Endverbraucher abgelegt werden. Auch Ägypten leidet unter der Krise: Sieben Milliarden US-Dollar an Gebühren für die Nutzung des Suezkanals sind dem Land bisher entgangen.
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