Der böse Westen
In Serbiens Medien geht es derzeit um etwas ganz anderes. Darum, dass die Proteste „aus dem Westen orchestriert werden“, dass vor allem Berlin viel Geld investiere, damit in Belgrad passiert, was angeblich auch in Kiew geschah: Ein „Maidan“, ein gewaltsamer Umsturz also, finanziert von sinistren Westmächten.
Das Narrativ, das die von Vučić gesteuerten Medien da bedienen, stammt aus Russland. Seit den ersten Farbrevolutionen in Osteuropa schürt der Kreml die Angst, dass es kein ziviler Ungehorsam sei, der Machthaber stürze, sondern dass Zivilisten vom Westen missbraucht würden, um unliebsame Regime zu Fall zu bringen. Freilich: Viele West-Staaten verteilen tatsächlich seit Jahrzehnten Geld an NGOs im Osten – aber nicht um heimlich Unruhen zu provozieren, sondern zum Aufbau demokratischer Strukturen.
Dass die Verschwörungstheorie gerade in Serbien verfängt, ist aber kein Zufall. Das Land hat selbst Erfahrung mit Revolten, im Jahr 2000 stürzte die Bevölkerung nach dem Bombardement der NATO Serbenführer Slobodan Milošević, beschuldigte ihn der Kriegstreiberei und Wahlfälschung. Dass damit nicht alle Serben einverstanden waren, versteht sich von selbst, und Vučić war einer davon: Er war damals Miloševićs Informationsminister – und wurde ebenso aus dem Amt gejagt.
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Erinnerungen an Putin
Dass er 2012 wieder zurückkehren konnte, als Minister, Premier und später Präsident, verdankt er seiner öffentlichen Läuterung und der damit einhergehenden westlichen Unterstützung. Vučić entschuldigte sich für seine jahrelange Unterstützung von Kriegsverbrechern, verurteilte das Massaker von Srebrenica, und das brachte ihm nicht nur die Aussicht auf die EU-Mitgliedschaft, sondern vor allem viele Sympathien in Berlin und Brüssel ein.
Umso irritierender ist daher, dass Serbien sich unter ihm immer weiter von den Idealen der EU verabschiedet – und dass der Westen diesen Staatsumbau höflich ignorierte. Merkel, die öffentlich immer gut über Vučić sprach, besuchte ihn sogar noch 2021 auf ihrer Abschiedsreise (ein Genuss, in den Wien nicht kam). Dass der sich unter ihren Augen zum „Volksführer“ gewandelt hatte, den Staat in eine Autokratie umbaute, in dem öffentlich Bedienstete eine Parteimitgliedschaft brauchen und in dem Oppositionelle mit privaten Peinlichkeiten diskreditiert werden, besprach sie nie. Das erinnert frappant an Europas und Deutschlands Umgang mit Putin: Lange dachte man, der Kremlchef werde seine imperialen Phantasien schon ablegen, wenn er nur wirtschaftlich eng genug an den Westen gebunden sei.
In Serbien hat man das offenbar genau beobachtet. Dort freut man sich über Millionen an „Heranführungshilfe“ aus Brüssel, auch gesamtwirtschaftlich ist die EU größter Handelspartner. Politisch nähert sich Vučić aber immer mehr Moskau und Peking an. Kurz nach der Wahl bedankte sich Premierministerin Brnabić sogar beim russischen Geheimdienst, der Belgrad über einen „Umsturzversuch der Opposition“ informiert habe – also über die Proteste.
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In der Bevölkerung verfängt das. Nur noch knapp 30 Prozent wollen überhaupt in die EU, und Putins Beliebtheit wächst. Ob man das in Brüssel registriert hat? Schwer zu sagen. Sowohl zur Wahlfälschung als auch zu den Protesten war von dort wenig Konkretes zu hören. Das lässt in Belgrad den Frust weiter wachsen: Oppositionsführerin Marinika Tepić beendete zum Jahreswechsel ihren Hungerstreik. „Die EU schaut seit Jahren weg“, sagte sie – Hoffnungen auf Unterstützung aus Brüssel habe sie keine mehr.
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