Hamas kündigt Freilassung von zehn lebenden Geiseln an

Die Hamas inszeniert sich gerne selbst - vor allem auch bei Geiselfreilassungen
Die Hamas hat in einer Mitteilung die Freilassung von zehn lebenden Geiseln angekündigt.

Zusammenfassung

  • Hamas kündigt die Freilassung von zehn lebenden Geiseln und 18 Leichen im Austausch gegen palästinensische Gefangene an.
  • Eine große Zahl hungernder Menschen plündert 77 Lkws mit Hilfsgütern im Gazastreifen aufgrund der Blockade.
  • US-Vorschlag für eine 60-tägige Waffenruhe sieht Freilassung von Geiseln und Gespräche über das Kriegsende vor.

Der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, hat die Antwort der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf den US-Vorschlag für eine vorübergehende Waffenruhe im Gazastreifen zurückgewiesen. 

Zuvor hatte die Islamistengruppe Änderungen an dem Plan gefordert sowie die Freilassung von zehn lebenden Geiseln in Aussicht gestellt. "Das ist völlig inakzeptabel und bringt uns nur zurück", schrieb Witkoff am Samstag auf der Onlineplattform X.

Hamas-Antwort auf US-Vorschlag "völlig inakzeptabel"

Die Hamas sollte vielmehr den von den USA unterbreiteten Rahmenvorschlag als Grundlage für Annäherungsgespräche akzeptieren, die in der kommenden Woche beginnen könnten, betonte der Sondergesandte. Außerdem könne damit die Grundlage gelegt werden für "substanzielle Verhandlungen in gutem Glauben, um zu versuchen, einen dauerhaften Waffenstillstand zu erzielen", erklärte er. 

Der Witkoff-Plan sieht vor, dass während einer 60-tägigen Waffenruhe 10 Geiseln sowie die sterblichen Überreste von 18 weiteren Opfern der Hamas an Israel übergeben werden. Israel geht davon aus, dass sich derzeit 20 bis 23 lebende Geiseln sowie mindestens 35 Leichen von Verschleppten in der Gewalt der Hamas befinden.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahju sagte am Samstag, dass die Hamas ihren Widerstand gegen Witkoffs Waffenruheplan aufrechterhalte. "Israel wird seine Aktionen im Gazastreifen fortsetzen, um die Geiseln freizubekommen und die Hamas zu besiegen", sagte Netanyahu. Der israelische Außenminister Gideon Saar ergänzte, dass die Hamas für die Fortsetzung des Krieges im Gazastreifen verantwortlich sei, da sie sich weigere, die Geiseln freizulassen und ihre Waffen abzugeben.

Hamas fordert dauerhaften Frieden

Aus Hamas-Kreisen verlautete, die Palästinenserorganisation habe die Vermittler über ihre offizielle schriftliche Antwort auf den US-Vorschlag informiert. Demnach fiel die Antwort positiv aus, enthielt aber zugleich die Forderung nach der Garantie einer permanenten Waffenruhe und einem "vollständigen Abzug" Israels aus dem Gazastreifen. Die israelische Regierung verlangt hingegen eine Vertreibung der Hamas aus dem Gazastreifen und die Entwaffnung des Palästinensergebietes - für die Hamas unannehmbare Forderungen.

Mit dem Zugeständnis einer nur teilweisen Geiselfreilassung hat sich die Hamas in den Verhandlungen auf Israel zubewegt - wohl auch unter dem Eindruck ihrer massiven Verluste im Krieg und der katastrophalen Lage der gedrängten Bevölkerung des Gazastreifens. Dort droht eine Hungersnot.

Zugleich scheint die Antwort auf den Witkoff-Plan mehrere Forderungen der Hamas zu enthalten, die auf dessen Änderung abzielen. So wünschen die Islamisten eine zeitlich länger gestreckte Taktung der Geiselfreilassungen, als sie in dem Dokument des US-Vermittlers vorgesehen ist. Witkoffs Reaktion auf die Hamas Antwort bezeichnete ein Hamas-Funktionär als "unfair", sie zeige die "völlige Einseitigkeit" gegenüber Israel.

US-Präsident Donald Trump hatte sich am Freitag zuversichtlich gezeigt, dass es schon bald zu einer Waffenruhe im Gaza-Krieg kommen könnte. Israelische Medien hatten Anfang der Woche berichtet, Netanjahu habe den Familien der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln mitgeteilt, Israel habe das von Witkoff vorgelegte Abkommen akzeptiert.

Neue Geschosse auf Israel

Das Abfeuern mehrerer Geschosse aus dem Gazastreifen löste am Samstag in Israel Alarm aus. Die israelische Armee teilte mit, nach dem Läuten der Sirenen um 19.01 Uhr (Ortszeit; 18.01 Uhr MESZ) in den Orten Ein HaShlosha und Nirim seien mehrere Projektile identifiziert worden, die aus dem Gazastreifen nach Israel geflogen seien. Dort seien sie in unbewohntem Gebiet niedergegangen.

Die tiefe Kluft zwischen der Hamas und Israel hat frühere Versuche zur Wiederherstellung eines Waffenstillstands zum Scheitern gebracht. Israel hat darauf bestanden, dass die Hamas vollständig entwaffnet wird, als militärische und regierende Kraft aufgelöst wird und alle 58 Gaza-Geiseln zurückgibt, bevor es einer Beendigung des Krieges zustimmt. Die Hamas hat die Forderung, ihre Waffen abzugeben, zurückgewiesen und erklärt, Israel müsse seine Truppen aus dem Gazastreifen abziehen und sich verpflichten, den Krieg zu beenden.

77 Lkws mit Hilfsgütern in Gaza gestürmt

Unterdessen hat eine große Zahl hungernder Menschen im Gazastreifen 77 Lastwagen mit Hilfsgütern des UNO-Welternährungsprogramms (WFP) auf dem Weg zu den Verteilungszentren gestoppt, gestürmt und geplündert. Das teilte die Organisation mit Sitz in Rom auf der Plattform X mit. Nach einer fast 80-tägigen Blockade des abgeriegelten Küstenstreifens durch Israel würden die Bewohner "nicht mehr einfach nur zusehen, wie Nahrung an ihnen vorbeifährt", hieß es in der Mitteilung.

Um das Vertrauen in die Hilfslieferungen und ihre sachgemäße Verteilung wiederherzustellen, müsse der Gazastreifen jetzt "mit Nahrungsmitteln geflutet werden", so das WFP. Die Organisation sei dazu in der Lage. "Wir haben genügend Nahrung (auf Lager), um alle 2,2 Millionen Bewohner (des Gazastreifens) zwei Monate lang zu versorgen", hieß es in dem Beitrag auf X weiter. Dazu bedürfe es aber sicherer Verkehrswege im Gazastreifen, schnellerer Genehmigungsverfahren auf der israelischen Seite und letztlich einer Waffenruhe in dem seit fast 20 Monaten anhaltenden Gaza-Krieg.

UNO-Organisation warnt vor Hungersnot

Die Vereinten Nationen hatten zuvor vor einer Hungersnot im Gazastreifen gewarnt. "Gaza ist das hungrigste Gebiet der Welt", sagte der Sprecher des UNO-Nothilfebüros in Genf, Jens Laerke. Es sei das einzige klar definierte Gebiet der Erde, in dem ausnahmslos alle Bewohner von einer Hungersnot bedroht seien. Die UNO halte Zehntausende Paletten mit Nahrungsmitteln vor den Grenzen des Gazastreifens bereit, dürfte diese aber nicht verteilen. "Die Besatzungsmacht blockiert absichtlich Hilfe für den Gazastreifen", sagte er.

Israels Regierung hatte seit März alle Hilfslieferungen in das abgeriegelte Küstengebiet blockieren lassen. Damit sollte nach ihren Angaben der Druck auf die Hamas erhöht werden, damit sie die letzten beim Terrorüberfall in Israel am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln freilässt. Vor zehn Tagen wurde die Blockade gelockert, aber nur etwas. Es sei "wie eine tropfenweise Ernährung in einer Region mit katastrophalem Hunger", sagte Laerke. Er sprach von einer organisatorischen "Zwangsjacke".

Die Gaza-Stiftung für humanitäre Hilfe (GHF) richtete zu Wochenbeginn einige wenige Verteilungszentren im Süden des Gebiets ein, über die sie nach eigenen Angaben 3,8 Millionen Mahlzeiten verteilt haben will. Beobachter sprachen von teilweise chaotischen Szenen im Umfeld dieser Zentren. Die UN-Organisationen bezweifeln, dass die neue Stiftung in der Lage sei, die Bevölkerung des Gazastreifens angemessen zu versorgen.

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