Wie stark die Hamas noch ist

Israel verstärkte in den letzten Wochen ständig den militärischen Druck auf die islamistische Hamas-Miliz im Gazastreifen. Was diese bisher nicht zu einem politischen Einlenken zwingen konnte. Im Gegenteil: In den Verhandlungen um weitere Freilassungen israelischer Geiseln stellt die Hamas sogar neue Forderungen. Zusätzlich zu einem baldigen Kriegsende und dem vollständigen Abzug der israelischen Armee.
Kein Chaos mehr
Zwar schwächt die Einrichtung neuer Hilfszentren zur humanitären Versorgung der Zivilbevölkerung die Hamas spürbar. Doch von einem Zusammenbruch kann nicht die Rede sein. Die chaotischen Zustände letzte Woche bei der Eröffnung der neuen Verteilungszentren der Gaza Humanitarian Foundation (GHF) wiederholen sich nicht. Damals hatten Palästinenser das Verteilungszentrum gestürmt, israelische Soldaten gaben Warnschüsse ab.
UNO-Organisationen kritisieren zwar die neuen Hilfsmethoden. Sie vergessen dabei aber, dass ihre Verteilung ebenfalls häufig chaotisch ablief. Was Washington und Jerusalem wichtig ist: Die Hamas verliert immer mehr ihren bisherigen Zugriff auf die Hilfslieferungen. Damit auch eine wichtige Möglichkeit, die Zivilbevölkerung einzuschüchtern und unter Kontrolle zu halten.
Hamas blockierte
Der Sprecher der israelischen Armee hat noch immer keine überzeugende Erklärung für die mangelnde Absicherung der Verteilungszentren in den ersten Tagen. Jedoch zeigen Drohnenaufnahmen, wie bewaffnete Hamas-Kämpfer mit Waffengewalt anströmende Zivilisten am Zugang hinderten.
Wobei auch die neu angeheuerten Sicherheitskräfte der GHF nicht als zimperlich gelten. Ihr Anführer ist Yasser Abu Schabab, Angehöriger eines mächtigen Beduinen-Clans bei Rafah. Zuvor überfiel er selbst Hilfskonvois, wenn die Hamas verhindert war. Auch als Drogenschmuggler ist er bekannt, und ihm werden Verbindungen zum berüchtigten Islamischen Staat nachgesagt.
Jetzt schützt er die GHF-Hilfskonvois vor Hamas-Überfällen. Wer in der Hölle von Gaza helfen will, muss mit Teufeln zusammenarbeiten.
Keine leichte Arbeit: In den neuen Verteilungszentren wurden bereits bewaffnete Hamas-Leute gesichtet.
Innere Feindschaft
Sechs Angehörige der Al-Schabab-Truppe wurden letzte Woche von Hamas-Kämpfern „als Plünderer hingerichtet“. Konnte die Hamas in der Vergangenheit nicht die unabhängige Verteilung der Hilfsgüter kontrollieren, kam es im Nachhinein zu Durchsuchungen „von Haus zu Haus“ durch Hamas-Bewaffnete. Wurden dabei UN-Hilfspakete entdeckt, mussten die Eigentümer „Steuern“ zahlen. Wieweit die Hamas noch über militärische Befehlsstrukturen verfügt, ist fraglich. Doch gehen hochrangige israelische Offiziere davon aus, dass weiter Zigtausende Bewaffnete im Gazastreifen zu finden sind.
Im Untergrund
Was von Hamas-Sprechern bestätigt wird: In Gaza-Stadt, wo in naher Zukunft eine israelische Offensive erwartet wird, halten sie sich in logistischen Tunneln versteckt. Immer noch mit Hunderten Langstreckenraketen und Tausenden Kurzstreckenraketen. Hamas-Quellen zufolge gibt es auch neue Werkstätten zur Eigenproduktion von Panzerfäusten und Sprengfallen.
Israels Vormarsch erfolgte in Rafah und Chan Junis weiter südlich bislang langsamer als erwartet. Dafür aber sollen die dabei anfallenden Zerstörungen von Hamas-Einrichtungen, auch der versteckten Tunnelanlagen, gründlicher sein als im Vorjahr.
Bis zum Herbst soll die Offensive dauern. Es sei denn, es käme zu einem neuen Geisel-Deal. Für die Hamas sind die dabei zu verzeichnenden Zivilverluste ein strategischer Gewinn.
Nicht mehr geächtet
Weltweit werden sie als Folge des israelischen Vormarsches gesehen. Das Massaker der Hamas an 1.400 Menschen in Israel, mit dem am 7. Oktober 2023 alles begann, scheint vergessen.
So wird ausgerechnet die Hamas, die jeden Dialog und jede Anerkennung Israels beharrlich verweigert, politisch aufgewertet. Sogar Washington spricht jetzt in direkten Kontakten mit der früher geächteten Hamas. Israel bleibt außen vor. Verliert an internationalem Ansehen. Weil die israelische Regierung jede politische Alternative zur Hamas auf der palästinensischen Seite ignoriert. Wie vor dem 7. Oktober 2023.
Kommentare