Wieso Großbritanniens Einwanderungszahlen so dramatisch gefallen sind
Endlich einmal Nachrichten, bei denen die schwer gebeutelte britische Labourregierung aufatmen kann – zumindest vermeintlich: Die Nettozuwanderung, also die Zahl der Eingewanderten minus der Ausgewanderten, ist im Vergleich zum Vorjahr um 69 Prozent gefallen. Konkret sind von Juni 2024 bis Juni 2025 unterm Strich 204.000 Personen ins Land gekommen.
Das ist ein scharfer Kontrast zu den 649,000 netto-zugewanderten Personen im Jahr zuvor. Die sogenannte „Boris-Welle“, urteilen also britische Medien, scheint vollends abgeklungen. Unter dem früheren Premier Boris Johnson kratzten die Einwanderungszahlen 2023 fast an der Millionengrenze.
Migrations-Minister sieht die Zahlen als Gewinn für die Labourregierung.
Es ist ein Erfolg, den sich die Labourregierung gerne auf die eigenen Fahnen heften möchte. „Es geht darum“, erklärte Migrations-Minister Mike Tapp, „Ordnung und Kontrolle wiederherzustellen und sicherzustellen, dass legale Migration keine offene Tür ist, wie wir es unter der letzten Regierung gesehen haben.“
Doch tatsächlich ist der Rückgang großteils einem stark verminderten Zuzug von Nicht-EU-Bürgern zuzuschreiben. Und der geht auf Maßnahmen zurück, die die konservative Vorregierung auf den Weg gebracht hat. Die Tories hatten Gehaltsgrenzen für Pflegekräfte eingeführt und ihnen, ebenso wie internationalen Studierenden verboten, Angehörige nach Großbritannien zu holen.
"Brain Drain"
Dazu kommt, wohl immer noch Brexit-bedingt, ein Minus von 70.000 EU-Bürgern: 155.000 Europäer haben im vergangenen Jahr die Insel verlassen, aber nur 85.000 sind nach Großbritannien gezogen.
Immer noch sieht man Briten vor dem Parlament gegen Brexit demonstrieren.
Gleichzeitig haben auch 252.000 Briten ihr Land verlassen, nur 143.000 sind zurückgekehrt.
Die Boulevardzeitung Daily Mail fürchtet einen „Brain Drain“ und für den konservativen Telegraph sind die Zahlen Bestätigung, dass „Rachel Reeves' Rekordsteuererhöhungen Großbritannien für junge und aufstrebende Menschen unattraktiv gemacht haben“. Denn mit 87.000 Personen waren der Großteil der ausgewanderten Briten zwischen 16 und 34 Jahre alt.
Die meisten jungen Briten zog es übrigens nach Down Under. Sie waren die am schnellsten wachsende Nationalität unter den Inhabern von Working-Holiday-Visa für Australien im Zeitraum 2024-25, mit einem Anstieg von 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Höchstwert bei Asylanträgen
Die gesunkene Nettomigration lenkt den Fokus einmal mehr auf das Reizthema Asyl. Jede zweite Person, die zugewandert ist, kam als Asylsuchende. Mit 110.051 gab es von September 2024 bis September 2025 einen neuen Rekordwert bei Asylanträgen und auch die Zahl der Asylsuchenden in Hotels ist während der Labourregierung von 29.000 auf 36.000 angewachsen.
„Es scheint“, fasst Ben Brindle vom Migration Observatory der Universität Oxford zusammen, „dass sich die Zusammensetzung der Migration aus wirtschaftlicher Sicht verschlechtert hat." Weniger Menschen erhalten ein Fachkräfte-Visum während der Anteil der Flüchtlinge, die oft viel Unterstützung benötigen, gestiegen ist.
51.000 Personen sind zwischen September 2024 und September 2025 auf kleinen Booten über den Ärmelkanal auf illegalem Weg nach Großbritannien gekommen.
Das britische Innenministerium versuchte zuletzt mit scharfen Maßnahmen, die Kontrolle – über die illegale Zuwanderung aber auch die landesweite Diskussion – zurückerlangen. Doch der Telegraph deckte erst vergangene Woche auf, dass dem Innenministerium die Aufenthaltsinformationen zu 53.298 Asylwerber abhanden gekommen seien.
Allzu viel positiven Wind dürfte sich die Labourregierung von den neuen Zahlen also doch nicht erwarten.
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