Auch Fedir wird an dem Tag noch das Geschoß abfeuern und damit das dreiwöchige Trainingsprogramm abschließen. Danach soll er die Raupenhaubitze nicht nur selbst bedienen können, er und die anderen Freiwilligen dieser Kohorte sollen als neue Spezialisten andere Ukrainer in die Handhabung einweisen. Hilfe zur Selbsthilfe.
Neue Operation
Vor ziemlich genau einem Jahr, am 26. Juni 2022, vier Monate nach Russlands Angriff auf die Ukraine, begann England unter dem Code-Namen "Operation Interflex", ukrainische Rekruten in fünfwöchigen Trainingsprogrammen auf britischem Boden auszubilden. Es ist die Fortführung von "Operation Orbital", die 2014 gestartet wurde, um Ukrainer zu trainieren – als Russland die Krim-Halbinsel besetzte und annektierte. 22.000 Soldaten wurden im Zuge von "Orbital" ausgebildet; 20.000 weitere nun unter "Interflex". Bis 2024 sollen es 30.000 Soldaten sein.
➤ Mehr dazu: Militärexperte zur Gegenoffensive: „Bis auf die USA könnte das keine NATO-Armee“
Der Intensivkurs kann dabei nicht mit dem 14-wöchigen Basisprogramm verglichen werden, das britische Soldaten durchlaufen: Er soll die Überlebensfähigkeit von Menschen erhöhen, die nur wenige Wochen zuvor Bäcker, Fleischer oder Softwarehersteller waren. Einige der Ukrainer, die sich zu Trainern ausbilden lassen, haben noch keine Kriegserfahrung. "Das sagt viel über ihre Einstellung aus", sagt Lieutenant Colonel Talbot-King, ein britischer Offizier, der das Training begleitet. "Es sagt über ihre Bereitschaft aus, alles zu geben."
Fedir war Bauingenieur. Ja, sagt er zum KURIER mittels eines Übersetzers, er habe bereits Erfahrung auf dem Schlachtfeld. Wie viel genau, möchte oder darf er nicht sagen. Er sei dankbar, ergänzt er , für das Training. "Je mehr wir wissen, desto schneller können wir ans Ziel kommen." Als eine Haubitze ein weiteres Geschoß abfeuert, zuckt er nicht zusammen.
➤ Mehr dazu: Leopard 2: So funktioniert der Panzer, über den alle reden
"Das Beeindruckende an diesem Gerät ist, dass man quasi alles herausnehmen kann und es immer noch funktioniert", sagt Staff Sergeant Perkins, AS90-Experte, der 16 Jahre lang mit der Haubitze gearbeitet hat und nun sein Wissen weitergibt; es sei ein stolzer Augenblick.
Was war die größte Herausforderung für Fedir? Der Ukrainer denkt kurz nach: "Das spezielle Vokabular", sagt er dann, "die Begriffe im Gerät sind alle in einer fremden Sprache." Die Briten haben deshalb auch Videos von allen Instruktionen aufgenommen, die die ukrainischen Soldaten zum Üben und Lernen mit nach Hause nehmen können.
Ehrgeizige Rekruten
"Die Ukrainer sind unglaublich ehrgeizig, unglaublich fleißig", sagt Lieutenant Colonel Talbot-King noch. Obwohl das Training nicht selten zehn Stunden am Tag in Anspruch nahm, und das sieben Tage die Woche, wollten die Rekruten abends noch mehr wissen, haben weiter gelernt.
Doch die Briten sind nicht die Einzigen, die ukrainische Soldaten ausbilden; und so ist die englische Armee auch gefordert, sich mit den anderen Nationen, die Trainings anbieten – etwa die USA, Deutschland oder Spanien – abzusprechen, sich auf einheitliche Erklärungen zu einigen, damit es im Ernstfall nicht zu Missverständnissen der unterschiedlich ausgebildeten Ukrainer kommt.
Platz für Gefühle gibt es für Fedir keine. Wichtig sei der Sieg, sagt er, und dafür werde alles geleistet. Manchmal denke er an die Zeit danach, wenn er wieder in sein normales Leben eintauchen kann. Gibt es eine Sache, an die er besonders häufig denkt? Kleine Falten erscheinen um seine Augen, er scheint zu lächeln. "Sich wieder einmal richtig ausruhen zu können", sagt er und wird wieder ernst.
Vielleicht, weil er weiß, dass das nicht so bald der Fall sein wird.
Kommentare