Getreideexport: 26.000 Tonnen Hoffnung - und die Frage, wie es weitergeht

Getreideexport: 26.000 Tonnen Hoffnung - und die Frage, wie es weitergeht
Das erste Schiff mit ukrainischem Getreide ist von Odessa ausgelaufen. Wie viele ihm folgen, ist ungewiss – es mangelt an Seeleuten, und gegen Russland werden wieder Gräuel-Vorwürfe laut.

An normalen Tagen stehen auf der Potemkinschen Treppe in Odessa oft frisch vermählte Paare, sie feiern, lassen sich fotografieren. Am Montag standen dort auch Fotografen, allerdings mit Blick auf den Hafen: Von dort lief endlich die „Razoni“ aus, die seit Februar in Odessa vor Anker gelegen war. Sie ist das erste Schiff mit ukrainischem Getreide, das ablegen kann; Wladimir Putins Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen hat ein – zumindest vorläufiges – Ende.

26.000 Tonnen Mais hat der Frachter geladen, begleitet wird er von einem kleinen Lotsenschiff. Das ist Teil des Getreide-Deals, den die Ukraine und Russland vor einer Woche unterzeichnet hatten: Der Hafen vor Odessa ist schwer vermint, die Ukraine verhindert so seit Monaten, dass Russland ihren wichtigsten Schwarzmeerhafen einnimmt. Da eine Entminung für Kiew unvorstellbar war, schippert die „Razoni“ nun durch die Minenfelder, bis sie dann in Istanbul inspiziert wird und am Mittwoch im Zielhafen Tripoli im Libanon einlaufen wird.

16 Schiffe warten noch

Dennoch bleibt es fraglich, ob auch die 16 anderen Schiffe, die seit Februar in den Häfen in und um Odessa feststecken, auslaufen können. Das Hauptproblem ist – neben der ständigen Gefahr einer neuerlichen kriegerischen Eskalation – ein logistisches: Die meisten ukrainischen Seeleute sind im Kriegseinsatz, und von den 2.000 internationalen Seeleuten, die zu Kriegsbeginn in der Ukraine waren, sind nur mehr 450 da. Viele von ihnen weigern sich bisher, die gefährliche Fahrt über das Schwarze Meer auf sich zu nehmen. Das ist nur verständlich: Sieben Handelsschiffe wurden seit Kriegsbeginn von russischen Raketen getroffen, und nur einen Tag nach Unterzeichnung des Getreide-Deals bombardierte Russland ausgerechnet Ziele in Odessa – 21 Menschen starben dabei.

Kiew in der Klemme

Die Ukraine steckt damit in einer Zwickmühle, und das ist Moskau freilich bewusst. Das Land ist nicht nur für 15 Prozent des weltweiten Getreides verantwortlich, kann mit seiner Ernte die Situation etwa im Libanon kalmieren, wo man für ein paar Bissen Brot mittlerweile stundenlang bei den Bäckereien anstehen muss, sondern braucht auch dringend die Einnahmen aus den Exporten. Eine Milliarde Euro könnte das Land allein durch die Wiederinbetriebnahme der drei Häfen in uns um Odessa lukrieren.

Nicht umsonst hat Kiew – trotz des Beschusses auf Odessa – in den vergangenen Tagen ganz aktiv nach außen demonstriert, dass man seinen Teil der Abmachung einhalten will. Präsident Wolodimir Selenskij, der sich sonst zumeist streng abgeschirmt in Kiew aufhält, war am Freitag extra zum Tschornomorsk-Hafen südlich der Hafenstadt gereist und ließ sich öffentlichkeitswirksam die Vorbereitungen für die Ausfuhr zeigen.

Getreide-Oligarch bombardiert

Russland aber, so sieht es zumindest Kiew, versuche die Exporte nun auf anderem Wege zu torpedieren. Obwohl Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow den Start offiziell als „ziemlich positiv“ genannt hat, ließ Moskau am Sonntag einen Raketenhagel auf die belagerte ukrainische Stadt Mykolajiw nieder – dort ist der nächste Hafen, den die Ukraine für Getreidetransporte freigeben will.

Bei dem Beschuss wurde auch der Milliardär Olexii Wadaturskij getötet. Auch dies, so mutmaßen neutrale Beobachter wie auch die Regierung in Kiew, sei vermutlich kein Zufall gewesen. Er war einer der wichtigsten Getreideexporteure des Landes und als solcher auch in den Getreide-Deal mit Moskau involviert. Sein Wohnhaus in Mykolajiw stand weit abseits anderer Siedlungen, die Bombe detonierte direkt in seinem Schlafzimmer – das deute auf eine geplante Aktion hin. Dass sie kein Irrläufer war, ließ auch Margarita Simonjan, Chefin des Kreml-PR-Netzwerks Russia Today und mediales Sprachrohr Putins durchblicken: Der Tod Wadaturskijs sei eine „Denazifizierung in Aktion“ gewesen, kommentierte sie.

Getreideexport: 26.000 Tonnen Hoffnung - und die Frage, wie es weitergeht

Satellitenbilder aus Oleniwka

Massaker an Gefangenen

Das ist nicht der einzige Vorwurf, mit dem Moskau derzeit konfrontiert ist. Am Freitag starben in einer Industriehalle im besetzten Oleniwka nahe Donezk 50 ukrainische Kriegsgefangene – das Lager sei, so sagt Moskau, von einer Himars-Rakete getroffen worden, also mit jener US-Waffe, die den Russen zuletzt massiv Schaden zufügen konnte.

Nur: Die Umstände ihres Todes und die Tatsache, dass es sich bei den Toten ausgerechnet um inhaftierte Kämpfer des umstrittenen Azow-Regiments handelte, die Moskau zu einem der primären Ziele seiner „Denazifizierung“ auserkoren hatte, lassen Zweifel an der Darstellung Moskaus aufkommen. Oleniwka liegt zwar tatsächlich nur 15 Kilometer von der Front entfernt, und ehemalige Gefangene berichten auch über mehrmaligen Beschuss von der ukrainischen Seite. Allerdings erscheint es Militäranalytikern sehr unwahrscheinlich, dass dort tatsächlich eine Himars-Rakete eingeschlagen hat: Sie hätte einen deutlich größeren Schaden hinterlassen, einen massiven Krater – auf Satellitenbildern sieht man den nicht. Stattdessen sind auf den Bildern schon vor Tagen ausgehobene Massengräber zu erkennen; ein Hinweis auf eine geplante Exekution, heißt es etwa vom Investigativportal Bellingcat. Dort hält man es auch für wahrscheinlich, dass eine thermobarische Bombe das Feuer verursacht hat, in dem die Kämpfer umkamen – diese eigentlich verbotene Waffengattung besitzt Russland.

Selenskij warf Moskau darum vor, einen „vorsätzlichen Massenmord“ an den Gefangenen begangen zu haben; der Kreml kommentierte das nicht. Das Rote Kreuz, das die Vorwürfe gerne untersuchen will, ließ der Kreml bisher allerdings nichts auf das Gelände.

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