"Jeder tag ohne humanitäre Hilfe kostet Menschenleben"
„Was wir in Gaza erleben, ist apokalyptisch“, berichtet der Katastrophenmanager dem KURIER. Die Lebensmittel gehen zur Neige, Krankheiten breiten sich aus, Medikamente seien Mangelware, Trinkwasser- und Müllsystem zusammengebrochen. „Jeder Tag ohne humanitäre Hilfe kostet Menschenleben.“
90 Prozent der Wohnungen und Häuser seien nicht mehr bewohnbar: „Die Menschen leben in Zelten, wenn sie Glück haben. Wenn nicht, unter Plastikplanen. Sie haben gerade ihren zweiten Winter im Krieg durchgemacht – und der ist auch in Gaza kalt. Kinder und Babys sind erfroren.“
42.000 LKW an Hilfe
Die Pause der Gefechte, die am 19. Jänner begonnen hatte, hat die Lage dem Helfer zufolge entspannt: „In der Zeit, in der das jetzt möglich war, haben wir als Internationale Hilfsgemeinschaft rund 42.000 LKW mit Nahrung, Unterkunftsmaterialien und medizinischer Hilfe liefern können.“ In den vergangenen Wochen sei es sogar gelungen, in halb zerstörten Gebäuden für die Kinder wieder eine Schulversorgung herzustellen. Die Menschen hätten einen Funken Hoffnung gehabt. Mit Beginn dieser Woche sei das wieder in weite Ferne gerückt.
„Jetzt sind unsere Kollegen in Gaza wieder 24 Stunden am Tag mehr als beschäftigt damit, Erste Hilfe zu leisten, Verwundete zu versorgen und Leben zu retten.“ In dieser Woche seien wieder sechs Helfer gestorben, insgesamt seit Kriegsbeginn bereits über 350.
Wie lange die prekäre Situation noch halbwegs halten könne, sei schwer zu sagen. Schon länger sei man gezwungen gewesen, aufgrund des fehlenden Nachschubs die Lebensmittelversorgung verstärkt zu rationieren. Ein großes Problem sei auch, dass das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA nur mehr sehr eingeschränkt arbeiten kann. Niemand könne es ersetzen. Auch die Zerschlagung der US-Behörde USAID durch die Trump-Administration sei bereits spürbar.
Aus humanitärer Sicht sei jedenfalls klar: „Alle Geiseln sind sofort freizulassen. Die Waffen müssen wieder schweigen. Zivile Infrastruktur und Bevölkerung dürfen kein Ziel sein. Und Helfer sind zu schützen.“
Beide Seiten weisen sich gegenseitig die Schuld für das Ende der Waffenruhe zu: Israel wirft der Hamas vor, Vermittlungsvorschläge für eine Verlängerung des Stillstands sowie die Freilassung der Geiseln wiederholt verweigert zu haben. Die Hamas wiederum beschuldigt Israels Regierung, die Waffenruhe einseitig aufgekündigt zu haben.
Israel plant weitere Angriffe
Dass sich die Situation bald bessert, ist nicht absehbar. Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz genehmigte bereits Pläne der Armee für weitere Kampfeinsätze im Gazastreifen. „Wir sehen bereits, dass der militärische Druck die Position der Hamas beeinflusst“, sagte er. „Wir werden nicht aufhören, bis die Geiseln freigelassen werden.“ Am Freitag erhöhte Katz den Druck noch einmal, drohte mit der Einnahme weiterer Gebiete im Gazastreifen. Er brachte zudem eine Ausweitung von nicht näher beschriebenen Sicherheitszonen im Grenzgebiet ins Spiel. Diese sollten dauerhaft von Israel kontrolliert werden.
Die von Premier Benjamin Netanjahu vorgesehene, umstrittene Entlassung von Inlandsgeheimdienstchef Ronen Bar, gegen die kürzlich Tausende Israelis protestierten, hat unterdessen das Oberste Gericht vorerst ausgesetzt.
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