Gaza-Streifen im Visier Israels

Ein Panzer fährt durch eine staubige Landschaft, bedient von zwei Soldaten.
Radikale schießen Raketen bis Tel Aviv; Israel startete militärische Offensive.

An die 100 Raketen militanter Terrorgruppen aus dem Gazastreifen schlugen allein am Dienstag bis zum Nachmittag in Südisrael ein. Im Gegenzug kam es zu Dutzenden Luftangriffen israelischer Kampfflugzeuge auf Ziele im Gazastreifen, denen mindestens 14 Menschen zum Opfer fielen, darunter hochrangige Hamas-Aktivisten wie Marinekommandeur Raschid Jassin.

Beide Seiten drehen seit Tagen Zahl und Wucht ihrer Angriffe ständig höher. Und beide Seiten vermieden es dabei bis zuletzt, alle Möglichkeiten ihrer Gewaltmittel voll auszunutzen. Mehrere Anrainerstaaten, vor allem Ägypten, bemühten sich um Vermittlung. Vergeblich.

Denn am Dienstag Abend haben Extremisten aus dem Gaza-Streifen erstmals die israelische Metropole Tel Aviv mit Raketen beschossen. Die Behörden lösten Luftalarm aus, Live-Bilder des Fernsehens zeigten offenbar das Abfangen einer Rakete durch das Abwehrsystem "Eiserne Kuppel" der Luftwaffe.

Splitter auf Luxus-Liner

Schon am Morgen war eine Rakete in einer dicht bebauten israelischen Wohngegend eingeschlagen. Wie durch ein Wunder kam es nur zu wenigen Leichtverletzten. Kleine Splitterreste in der Luft explodierter Luftabwehrwaffen landeten auf dem deutschen Kreuzfahrtschiff Aida Diva.

In ihren Ankündigungen machten beide Seiten am Dienstag klar, was weiter drohen kann. Hamas-Sprecher Abu Sughri: "Unsere Raketen reichen viel weiter und können ein Erdbeben überall in Israel anrichten." Der Beschuss von Tel Aviv war offenbar schon ein Schritt dorthin – auch wenn nicht klar ist, wer ihn setzte.Nachdem die Hamas am Montag für fast alle Raketenabschüsse die Verantwortung übernommen hatte, zeichneten am Dienstag wieder andere Gruppierungen verantwortlich: Dschihad – Heiliger Krieg, die Volksfront oder die Volkskomitees.

Israels Verteidigungsminister Moshe Yaalon: "Raketenangriffe auf unsere Städte sind nicht hinzunehmen. Wir planen die Ausweitung unserer Aktionen." Um möglicherweise massive Bodenaktionen im Gazastreifen durchzuführen, wurde grünes Licht für die Einberufung von bis zu 40.000 Reservesoldaten gegeben.

Polit-Querelen

Auf beiden Seiten sind interne politische Querelen auszumachen, die ebenfalls ihren Einfluss auf die Lage haben. Wobei die Unterscheidung zwischen Hardlinern und Gemäßigten nur noch unzureichend die Fronten aufzeigt.

Hamas hat nahezu jede internationale Unterstützung in Nahost verloren. Sie hat zwar gut gefüllte Waffenlager, aber so gut wie keinen Nachschub. Diese Schwäche zwang die im Gazastreifen herrschende Hamas-Führung in ein Einheitskabinett mit der El Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Westjordanland.

In Israel führten die Querelen um härtere Maßnahmen gegen die Hamas noch nicht zur Spaltung des Kabinetts. Außenminister Avigdor Lieberman kündigte aber das Bündnis seiner Partei mit dem Likud von Premier Benjamin Netanyahu auf. Umso stärker ist die Unterstützung aus den Reihen der linken Opposition für Netanyahu.

Wenn die Sonne im palästinensischen Dorf Barta’a untergeht, befindet sich keine Menschenseele mehr auf den sonst belebten Straßen. Vor einigen Tagen sollen radikale Siedler ins Dorf gekommen sein und versucht haben, ein Kind zu entführen und die Moschee in Brand zu setzen, wird erzählt. Nun fürchten sich die Bewohner und lassen ihre Kinder nach 20 Uhr nicht mehr aus dem Haus.

Geteiltes Dorf

Ein Mann mit Bart und Mütze lächelt in die Kamera.
Junger Israeli
Barta’a liegt zur Hälfte in Israel und zur Hälfte im besetzten Gebiet des Westjordanlands. Die Bewohner spüren die explosiven Spannungen des Nahostkonflikts im täglichen Leben. Die 16-jährige Mais würde gerne mit ihren Freunden in der Dorfmitte plaudern, doch sie hat zu viel Angst. Wenn Mais in sozialen Netzwerken über die politische Situation diskutieren will, hört sie immer wieder den Satz "Tu das nicht, sonst geht es dir wie Abu Khdeir".

Mohammed Abu Khdeir, das ist jener 16-jährige palästinensische Jugendliche, der vergangene Woche im Westjordanland entführt und ermordet worden war. Die Tat wird einer jüdischen Terrorzelle zugeschrieben und dürfte ein Racheakt gewesen sein – für die Entführung der israelischen Religionsschüler Eyal Yifrah, Naftali Frenkel und Gilad Shaer. Ihre Leichen waren Anfang vergangener Woche unter Steinhaufen im Westjordanland gefunden worden.

Wieso Menschen Rachegefühle gegen unschuldige Menschen hegen, kann der 22-jährige israelische Soldat Noam nicht verstehen. Insbesondere Jugendliche hätten in der gewaltsamen Austragung politischer Konflikte nichts zu suchen, findet er. Persönlich in Gefahr fühlt sich Noam nicht, aber er fürchtet, dass die aufgeheizte Situation eskalieren und es zu einer Welle an Gewalttaten kommen könnte.

Kaum von dem Konflikt betroffen fühlt sich Ariel (22) in der israelischen Region Eshkol, obwohl er sich regelmäßig in Schutzbunkern vor Kassam-Raketen aus dem Gazastreifen verstecken muss. Der Kibbuz, in dem Ariel wohnt, ist nur einen Kilometer vom Gazastreifen entfernt, und Bombenalarm gehört hier zum Alltag. Jetzt, wo es von beiden Seiten Raketen hagelt (siehe oben), können die Bewohner ihre Bunker kaum mehr verlassen.

Dennoch sagt Ariel im Telefonat mit dem KURIER ganz gelassen: "Persönlich spüre ich die Gefahr gar nicht mehr.‘‘ Auf die Frage, was er denn von der politischen Situation halte, antwortet er: "Wir leben unser Leben, ohne uns viel mit der politischen Situation zu beschäftigen, denn täten wir das nicht, würden hier alle verrückt."

Der politischen Situation entkommen kann Majd (24) als palästinensischer Student in Jerusalem kaum. Seit die Leichen der drei israelischen Jugendlichen gefunden worden sind, sei es für einen Araber nicht mehr sicher, in Jerusalem auf der Straße zu spazieren, sagt Majd.

Für immer weggehen

Eine junge Frau mit dunklen Haaren lächelt in die Kamera.
Mais fühlt sich in ihrem eigenen Dorf nicht mehr sicher
Besonders leid tut es ihm um die Spiele der Fußball-WM, die er vor einer Woche noch regelmäßig im Stadtzentrum mit seinen Freunden verfolgt hat. Nun hütet er sich davor, allein das Haus zu verlassen, denn viele seiner Freunde seien in letzter Zeit von jüdischen Jugendgruppen auf der Straße verprügelt worden. Für die Zukunft des Nahen Osten sieht Majd schwarz. "Wenn ich eine Chance bekäme, die Region für immer zu verlassen, ich würde keine Sekunde zögern. Ich möchte nicht in einem Land leben, das auf dem Weg ist, wie früher Südafrika mit seinem Apartheidsregime zu werden."

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