Israel nimmt Bodenkämpfe im Gazastreifen wieder auf

Bei erneuten Angriffen Israels auf Ziele im Gazastreifen sind nach palästinensischen Angaben 70 Menschen getötet worden. Zudem gebe es Dutzende Verletzte, sagt ein Mitarbeiter der Hamas-Gesundheitsbehörden am Donnerstag. Demnach wurden mehrere Häuser im Norden und Süden des Palästinensergebiets beschossen. Am Mittwoch waren den Angaben zufolge bei israelischen Attacken mindestens 20 Menschen gestorben, am Dienstag hatte es mehr als 400 Tote gegeben.
Eine über mehrere Wochen andauernde Waffenruhe war am Dienstag von Israel beendet worden. Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte dazu erklärt, er habe neue Angriffe angeordnet, weil die militante Palästinenserorganisation Hamas Vorschläge für eine Verlängerung der Waffenruhe bis April abgelehnt habe.
"In den vergangenen 24 Stunden" habe die Armee "gezielte Bodeneinsätze" im Zentrum und im Süden des Gazastreifens gestartet, erklärte die Armee. Ziel sei es, eine "teilweise Pufferzone" zwischen dem Süden und dem Norden des Palästinensergebiets zu schaffen.
Israelische Soldaten übernahmen demnach die Kontrolle über den sogenannten Netzarim-Korridor im Zentrum des Gazastreifens. Dieser teilt den Küstenstreifen in eine nördliche und eine südliche Hälfte. Israelische Soldaten seien bis zur Mitte des strategisch bedeutsamen Korridors vorgerückt.
Die israelische Regierung hatte die Angriffe als eine Reaktion auf "die wiederholte Weigerung der Hamas bezeichnet, unsere Geiseln freizulassen". Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu drohte damit, die Angriffe auf den Gazastreifen fortzusetzen und zu verstärken. Die Hamas erklärte, sie habe "die Tür zu Verhandlungen nicht geschlossen". Ein ranghoher Vertreter der Palästinenserorganisation sagte der französischen Nachrichtenagentur AFP, die Hamas verlange, "dass (Israel) gezwungen wird, sofort (die Angriffe) einzustellen und die zweite Phase der Verhandlungen zu beginnen".
Dutzende Tote auch am Mittwoch
Bei einem israelischen Luftangriff im Norden des Gazastreifens in Beit Lahiya wurden palästinensischen Angaben zufolge am Abend viele Menschen getötet. Aus medizinischen Kreisen im Gazastreifen hieß es, mindestens 24 Palästinenser seien ums Leben gekommen und weitere verletzt worden. Die Nachrichtenagentur WAFA hatte zuvor mindestens 16 Tote und mehrere zum Teil Schwerverletzte gemeldet. Dem Bericht zufolge waren die Opfer Menschen, die um eine getötete Familie getrauert hätten. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig verifizieren. Israels Armee teilte auf Anfrage mit, dem Bericht nachzugehen.
Bereits zuvor hatte es palästinensischen Angaben zufolge 20 Opfer bei israelischen Angriffen im Gazastreifen gegeben. Unter anderem seien drei Menschen bei einem Luftangriff auf ein Haus in Gaza ums Leben gekommen, zwei weitere Männer in Beit Hanun. Auch in Beit Lahiya sei ein Haus aus der Luft getroffen worden, wobei drei Menschen gestorben seien. Israels Militär teilte mit, einen Hamas-Stützpunkt beschossen zu haben. Von dort habe es Vorbereitungen für Angriffe auf Israel gegeben.
UNO-Mitarbeiter von Sprengsatz getötet
Bei einem Angriff auf eine UNO-Einrichtung in Gaza wurde nach Angaben der Vereinten Nationen unterdessen mindestens ein Mitarbeiter getötet. Mindestens fünf weitere Menschen seien verletzt worden, einige davon schwer, sagte der Exekutivdirektor des Büros für Projektdienste (UNOPS), Jorge Moreira da Silva, in Brüssel. Bereits in den vorigen Tagen habe es Einschläge in der Nähe und auf dem Gelände gegeben, weshalb die Organisation den Kontakt zu den israelischen Streitkräften aufgenommen habe. "Das kann kein Unfall sein", sagte Moreira da Silva. UNO-Generalsekretär Antonío Guterres zeigte sich "zutiefst traurig und geschockt" von dem Vorfall. Die UNOPS sind in Gaza unter anderem für die Beseitigung von Minen im Einsatz.
Die israelische Armee dementierte die Berichte. "Entgegen den Berichten hat die israelische Armee kein UNO-Gebäude in Deir al-Balah angegriffen." Man rufe die Medien zu Vorsicht mit Blick auf unbestätigte Berichte auf. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums schrieb auf der Plattform X, Israel untersuche die Umstände des Vorfalls, der nach ersten Erkenntnissen in keinerlei Zusammenhang mit den Aktivitäten der israelischen Armee stehe. Das Land bedauere "den Tod des bulgarischen Staatsbürgers, eines UN-Mitarbeiters" im Gazastreifen.
Proteste gegen Netanjahu
Indes finden in Israel massive Proteste statt: Mit blau-weißen Nationalflaggen sowie Flaggen in gelber Farbe, die an das Schicksal der israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas erinnern sollen, marschierten Tausende in Richtung Jerusalem. Die Demonstranten protestieren gegen die angekündigte Entlassung des Inlandsgeheimdienstchefs Ronen Bar sowie den Neubeginn des Gaza-Kriegs. Das Ziel des Marsches: der Amtssitz des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.
Dieser hatte am Sonntagabend die Entlassung von Shin-Bet-Chef Bar angekündigt. Als Grund nannte er einen „Mangel an Vertrauen“ in den Geheimdienstchef. Er wolle die Entscheidung diese Woche von der Regierung billigen lassen. Die Beziehung der beiden galt schon länger als belastet.
In einer Untersuchung des Inlandsgeheimdienstes über die Fehler, die das Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 ermöglicht hatten, war Netanjahus Politik zuletzt auch kritisiert worden. Außerdem ermittelt Shin Bet zu mutmaßlichen illegalen Beziehungen von Vertrauten Netanjahus mit Katar.
Die Physik-Professorin Shikma Bressler, die bereits als Galionsfigur der Proteste gegen den umstrittenen Justizumbau im Land galt, sagte nach Angaben der Times of Israel: „Es ist an der Zeit, dass wir diesen Wahnsinn beenden, bevor wir nichts mehr zu retten haben, bevor wir kein Land mehr haben.“
Auch international stießen die neuerlichen massiven Angriffe der israelischen Armee im Gazastreifen, bei denen laut Hamas binnen 48 Stunden 970 Menschen gestorben sind, auf Kritik. EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas etwa kritisierte Israels Vorgehen am Mittwoch als „inakzeptabel“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem „dramatischen Rückschritt“. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock forderte eine Rückkehr zu Gesprächen.
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