Frauen in der Lockdown-Falle der Gewalt
Maryline Lamand kennt das Gefühl, permanente Angst innerhalb ihrer eigenen vier Wände zu haben. Lange lebte die Französin mit einem brutalen Ehemann zusammen, bevor sie sich aus dieser gefährlichen Situation befreien und von ihm trennen konnte. Später schrieb sie ein Buch und gründete einen Verein für Opfer häuslicher Gewalt – dessen Nottelefon für Betroffene heuer so oft klingelt wie nie. „Wenn der Ehemann zur Arbeit geht, gibt es acht Stunden Ruhe. Kommt er zurück, steckt man ein“, sagt Lamand.
Verschnaufpausen
Doch auch diese „Acht-Stunden-Ruhe“ vor dem schlagenden Partner fällt in Phasen der strikten Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus weg, gibt sie zu bedenken.
Eine Tatsache, die französische Frauen-Schutzvereine, aber auch das Ministerium für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern auf den Plan gerufen hat.
Vorkehrungen zum Schutz der überwiegend, aber nicht nur weiblichen Betroffenen, die bereits im Frühjahr in Kraft traten, wurden im aktuellen Lockdown, der noch bis mindestens 1. Dezember gilt, ausgeweitet.
Fluchtplan für Notfall
So müssen Frauen auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Partner im Fall einer Kontrolle durch die Polizei die derzeit in Frankreich notwendige Ausgangsbescheinigung nicht ausfüllen.
Der Fahrdienst Uber stellt 2.000 Freifahrten für Frauen zur Verfügung, die zuvor bei einem Hilfetelefon angerufen haben, um einer Notsituation zu entkommen.
Darüber hinaus finanziert der Staat Hotelzimmer für Frauen, oftmals mit Kindern, teils aber auch für gewalttätige Männer, um sie von ihren Familien fernzuhalten.
Codewort für Apotheken
Außerdem gibt es in 22.000 Apotheken des Landes die Möglichkeit für Opfer häuslicher Gewalt, um polizeiliche oder andere Hilfe zu bitten: Im Fall, dass ihr Peiniger sie begleitet, hilft ihnen das Codewort „Maske 19“. Apotheken hätten nicht nur den Vorteil, stets offenzubleiben, sagt Christophe Dubois, pensionierter Polizeikommandant: „Manchmal ist es einfacher für Opfer, die es nicht wagen würden, in ein Kommissariat zu gehen, dem Apotheker in der Nähe zu vertrauen.“
Zudem stehen in Frankreich mehrere Hilfstelefone und Chats zur Verfügung, an die sich Betroffene diskret wenden können. Diese Angebote wurden bereits im Frühling stark angenommen: Die Zahl der Anrufe bei Nottelefonen vervierfachte sich innerhalb weniger Wochen der Ausgangsbeschränkungen von 2.145 auf 8.214. Das meldete eine von der Regierung eingesetzte Mission für den Schutz von Frauen gegen Gewalt und den Kampf gegen Menschenhandel (MIPROF).
Sensibilisiert
„Der Lockdown war nicht Auslöser von Gewalt, er brachte sie vielmehr zum Vorschein“, sagt MIPROF-Chefin Elisabeth Moiron-Braud. Auch habe es mehr Warnmeldungen durch Familien, Nachbarn oder Freunde gegeben – die Menschen seien stärker sensibilisiert. Die Zahl der polizeilichen Einsätze in familiären Konflikten stieg stark an. Im Jahr 2019 wurden in Frankreich 146 Frauen von ihren Partnern getötet und 27 Männern von ihren Partnerinnen. Das war ein Plus von 21 bzw. 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
16 Tage gegen Gewalt
Um noch mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, werden in Frankreich wie auch Österreich symbolträchtige Gebäude bis 10. Dezember orange-farben beleuchtet. Weltweit wird damit im Rahmen der alljährlichen Aktion „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ ein Zeichen gesetzt.
Simone Weiler, Paris
Schon vor dem ersten Lockdown in Österreich war befürchtet worden, dass es zu mehr Gewalt gegen Frauen kommen würde. Schon bald danach berichteten Polizisten gegenüber dem KURIER, dass diese Befürchtung sich nicht bewahrheitet hat – ganz im Gegenteil. Verantwortlich gemacht wurde für den starken Rückgang der Gewalt vor allem, dass gewaltbereite Männer nicht nächtens bis zum Exzess Alkohol konsumieren und dann ihre Frauen verprügeln.
Nach dem Lockdown schnellten die Zahlen aber wieder in die Höhe, die Wegweisungen etwa erreichten unbekannte Höhen. Diese Spitze flachte jedenfalls mittlerweile wieder auf knapp die Hälfte ab. Experten meinen deshalb, man müsse erst langfristig schauen, inwiefern die Gewalt durch die Pandemie eine Auswirkung hat. Vielleicht kann man am Jahresende sagen, ob es insgesamt einen Trend nach oben oder unten gibt.
Mord-Statistik
Die Zahl der Morde ist in Österreich jedenfalls seit den Fünfziger-Jahren ziemlich konstant. Sie schwankte jährlich zwischen rund 40 und 100 Todesopfern. Die zweitniedrigste Zahl an Morden etwa gab es ausgerechnet im Jahr der Flüchtlingswelle (2015). Bei den Mordversuchen gab es hingegen im Jahr 2018 einen Höchststand – 105 Männer und 55 Frauen wurden Opfer.
Die Regierung beschloss jedenfalls jetzt eine Informationskampagne. Außerdem, müssen Männer, wenn sie von zu Hause wegen Gewalt weggewiesen werden, künftig sechs statt drei Stunden zum Coaching.
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