Frauen in der Lockdown-Falle der Gewalt

Demo gegen Gewalt gegen Frauen in Paris: Ausgangssperren haben die Not misshandelter Frauen verschärft
Die Not misshandelter Frauen in Partnerschaften hat nicht nur am Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November traurige Aktualität.

Maryline Lamand kennt das Gefühl, permanente Angst innerhalb ihrer eigenen vier Wände zu haben. Lange lebte die Französin mit einem brutalen Ehemann zusammen, bevor sie sich aus dieser gefährlichen Situation befreien und von ihm trennen konnte. Später schrieb sie ein Buch und gründete einen Verein für Opfer häuslicher Gewalt – dessen Nottelefon für Betroffene heuer so oft klingelt wie nie. „Wenn der Ehemann zur Arbeit geht, gibt es acht Stunden Ruhe. Kommt er zurück, steckt man ein“, sagt Lamand.

Verschnaufpausen

Doch auch diese „Acht-Stunden-Ruhe“ vor dem schlagenden Partner fällt in Phasen der strikten Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus weg, gibt sie zu bedenken.

Eine Tatsache, die französische Frauen-Schutzvereine, aber auch das Ministerium für die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern auf den Plan gerufen hat.

Vorkehrungen zum Schutz der überwiegend, aber nicht nur weiblichen Betroffenen, die bereits im Frühjahr in Kraft traten, wurden im aktuellen Lockdown, der noch bis mindestens 1. Dezember gilt, ausgeweitet.

Fluchtplan für Notfall

So müssen Frauen auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Partner im Fall einer Kontrolle durch die Polizei die derzeit in Frankreich notwendige Ausgangsbescheinigung nicht ausfüllen.

Der Fahrdienst Uber stellt 2.000 Freifahrten für Frauen zur Verfügung, die zuvor bei einem Hilfetelefon angerufen haben, um einer Notsituation zu entkommen.

Darüber hinaus finanziert der Staat Hotelzimmer für Frauen, oftmals mit Kindern, teils aber auch für gewalttätige Männer, um sie von ihren Familien fernzuhalten.

Codewort für Apotheken

Außerdem gibt es in 22.000 Apotheken des Landes die Möglichkeit für Opfer häuslicher Gewalt, um polizeiliche oder andere Hilfe zu bitten: Im Fall, dass ihr Peiniger sie begleitet, hilft ihnen das Codewort „Maske 19“. Apotheken hätten nicht nur den Vorteil, stets offenzubleiben, sagt Christophe Dubois, pensionierter Polizeikommandant: „Manchmal ist es einfacher für Opfer, die es nicht wagen würden, in ein Kommissariat zu gehen, dem Apotheker in der Nähe zu vertrauen.“

Frauen in der Lockdown-Falle der Gewalt

Staatssekretärin für Gleichstellung Elisabeth Moreno in einer Abteilung für misshandelte Frauen in  einem Pariser Spital

Zudem stehen in Frankreich mehrere Hilfstelefone und Chats zur Verfügung, an die sich Betroffene diskret wenden können. Diese Angebote wurden bereits im Frühling stark angenommen: Die Zahl der Anrufe bei Nottelefonen vervierfachte sich innerhalb weniger Wochen der Ausgangsbeschränkungen von 2.145 auf 8.214. Das meldete eine von der Regierung eingesetzte Mission für den Schutz von Frauen gegen Gewalt und den Kampf gegen Menschenhandel (MIPROF).

Sensibilisiert

„Der Lockdown war nicht Auslöser von Gewalt, er brachte sie vielmehr zum Vorschein“, sagt MIPROF-Chefin Elisabeth Moiron-Braud. Auch habe es mehr Warnmeldungen durch Familien, Nachbarn oder Freunde gegeben – die Menschen seien stärker sensibilisiert. Die Zahl der polizeilichen Einsätze in familiären Konflikten stieg stark an. Im Jahr 2019 wurden in Frankreich 146 Frauen von ihren Partnern getötet und 27 Männern von ihren Partnerinnen. Das war ein Plus von 21 bzw. 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Frauen in der Lockdown-Falle der Gewalt

Regierungsmitglieder, ein singender Gendarm und färbig beleuchtetes Innenministerium in Paris als Zeichen gegen Gewalt an Frauen

16 Tage gegen Gewalt

Um noch mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, werden in Frankreich wie auch Österreich symbolträchtige Gebäude bis 10. Dezember orange-farben beleuchtet. Weltweit wird damit im Rahmen der alljährlichen Aktion „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ ein Zeichen gesetzt.

Simone Weiler, Paris

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