Frankreich: Streik, Massenprotest und Rufe nach einer "Reichensteuer"

Massenprotest in Frankreich
Bei einem landesweiten Protesttag standen die Forderungen nach höheren Abgaben für die „Superreichen“ des Landes im Mittelpunkt – der Druck auf den neuen Premier Lecornu ist groß.

Ihr Wunschprogramm haben Schüler des Pariser Gymnasiums Maurice Ravel auf Pappkartons geschrieben, die sie in die Luft halten. „Die Reichen besteuern“, steht auf einem in dicken schwarzen Buchstaben. „Blockiere deine Schule gegen die Sparpolitik“, auf einem anderen. „Es kann nicht sein, dass immer nur die kleinen Leute zahlen und die Reichen davonkommen“, ruft ein junger Mann in Richtung von Journalisten entgegen.

Mehr soziale Gerechtigkeit und Beteiligung der Vermögenden war eine Hauptforderung der Demonstrierenden am gestrigen Donnerstag in Frankreich. Hunderttausende beteiligten sich an diesem bisher größten Protest- und Streiktag des Jahres. Viele Kinderkrippen und Schulen, darunter auch private Einrichtungen, blieben geschlossen oder boten lediglich eine eingeschränkte Betreuung an. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern, Apotheken, Arztpraxen, Chemie- und Gasunternehmen sowie öffentlichen Ämtern legten die Arbeit nieder.

Der Fernverkehr verzeichnete wenige Ausfälle oder Verspätungen, während von den regionalen Zügen nur rund die Hälfte fuhren. Auch rund die Hälfte der Flüge wurden gestrichen. Mehr als 250 Demonstrationen waren landesweit angemeldet worden. Zu Zusammenstößen zwischen gewaltbereiten Protestlern und Polizisten kam es unter anderem in Nantes. Ein Großaufgebot von landesweit 80.000 Sicherheitskräften war im Einsatz, um größere Ausschreitungen zu verhindern.

Der "schwarze Donnerstag"

Der „schwarze Donnerstag“ mit Demonstrationen und Streiks war seit Wochen von den wichtigsten Gewerkschaften des Landes angekündigt und vorbereitet worden. Nur wenige von ihnen hatten sich demgegenüber dem von Bürgern organisierten Streik- und Protesttag unter dem Motto „Bloquons tout“ („Blockieren wir alles“) in der vergangenen Woche angeschlossen, bei dem laut französischem Innenministerium knapp 200.000 Menschen demonstrierten.

Beide Aktionen richteten sich gegen die Sparpolitik der letzten Regierungen unter Präsident Emmanuel Macron – und der künftigen, die erst noch gebildet werden muss. Man akzeptiere nicht, „einmal mehr die Arbeitenden, die Prekären, die Rentner, die Kranken“ bezahlen zu lassen, hieß es im Streikaufruf der Gewerkschaften.

In den vergangenen Wochen nahm in Frankreich die Debatte um die sogenannte „Zucman-Steuer“, benannt nach dem Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman, Fahrt auf. Bei ihm handelt es sich um einen ehemaligen Studenten des Ökonomen und Bestseller-Autoren Thomas Piketty. Beide kritisieren, dass die Superreichen in Frankreich häufig durch Optimierungsmodelle den Spitzensteuersatz umgehen und verhältnismäßig weniger besteuert werden als die Mittelklasse.

Nationwide strike and anti-government protests called by French unions in France

Bis zu 800.000 Menschen schlossen sich dem Streik in Frankreich an

Deshalb schlägt Zucman eine Steuer von zwei Prozent auf das gesamte Vermögen, nicht nur das Einkommen, vor, wenn dieses 100 Millionen Euro übersteigt. Rund 1.800 französische Haushalte wären betroffen, Zucman geht von Einnahmen zwischen 16 und 20 Milliarden Euro aus.

Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass die Steuer- und Abgabenlast in Frankreich ohnehin verhältnismäßig hoch sei und eine solche Maßnahme Investoren abschrecken könnte.

Der inzwischen gestürzte Premierminister François Bayrou hatte im Sommer einen Haushaltsentwurf mit Einsparungen in Höhe von knapp 44 Milliarden Euro vorgelegt, um das Defizit des Landes von zuletzt 5,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukt auf 4,6 Prozent im nächsten Jahr zu drücken. Doch eben über jenen Budgetvorschlag, den er mit der Vertrauensfrage im Parlament verknüpfte, stürzte er. 

Der neue Premier

Sein Nachfolger Sébastien Lecornu, der bei seinem Amtsantritt vor einer Woche einen „Bruch in der Sache wie auch in der Form“ versprochen hat, verhandelt derzeit mit den Oppositionsparteien, um Kompromisse zu schließen. Auch Vertreter der Arbeitnehmervertreter empfing er bereits zu Gesprächen. Abgesehen von der Zusicherung, auf die von Bayrou vorgeschlagene Streichung von zwei Feiertagen zu verzichten habe das noch nicht viel Konkretes ergeben, sagte die Vorsitzende der mitgliederstärksten Gewerkschaft CFDT, Marylise Léon. Um „ein Gewicht bei der Ausarbeitung des Budgetgesetzes zu haben“, sei eine große Mobilisierung wichtig. Eine höhere Besteuerung der Superreichen gilt für die Sozialisten als Bedingung, um Lecornu wenn schon nicht zu unterstützen, so zumindest nicht mit den anderen Oppositionsparteien zu stürzen. 

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