Wie sich die Rechtsextreme Marine Le Pen an den letzten Strohhalm klammert

Marine Le Pen
Frankreichs Rechtsextreme hofft auf ihren Berufungsprozess, um 2027 doch noch als Präsidentschaftskandidatin antreten zu können – doch ihr erwächst ein interner Konkurrent.

Die Lage Marine Le Pens ist keine günstige. Ende März wurde sie wegen Veruntreuung von EU-Geldern zu einer hohen Geld- und einer Gefängnisstrafe verurteilt, ihre politische Zukunft steht in Frage angesichts des Verbots, vor 2030 bei Wahlen zu kandidieren, und in Umfragen überflügelt sie ihr politischer Ziehsohn Jordan Bardella. Am Mittwoch haben Finanzfahnder den Sitz ihrer Partei wegen Hinweisen auf illegale Finanzierung mehrer Wahlen durchsucht. Doch das sind alles keine Gründe für die Frontfrau der französischen Rechtsextremen, sich bescheiden zurückzuziehen. 

Gewohnt lautstark drohte sie nun der Regierung, ihre Partei Rassemblement National (RN) könnte sich im Herbst einem Misstrauensantrag der Linken anschließen und Premierminister François Bayrou stürzen. Dass sie bei neuen Parlamentswahlen, die dann folgen könnten, nicht antreten dürfte und somit den Fraktionsvorsitz verlieren würde, sei „nicht schlimm“, versicherte die 56-Jährige. „Es gäbe noch viel mehr RN-Abgeordnete in der Nationalversammlung – ob ich dabei bin oder nicht, es ist im Interesse der Franzosen, dass das passiert.“ Aktuell ist der RN die größte Einzelfraktion.

Es ist davon auszugehen, dass Le Pen nur taktiert – sie scheint nicht bereit zu sein, ihren Platz zu räumen. Auf ihr Urteil hatte sie schockiert, aber auch kämpferisch reagiert. Zwar war vorhersehbar, dass sie angesichts der schweren Beweislast als eine der Hauptverantwortlichen für die systematische Veruntreuung von EU-Geldern durch ihre Partei schuldig gesprochen würde – nicht aber der Verlust des passiven Wahlrechts, also der Möglichkeit, bei Wahlen anzutreten. Dieser galt ab sofort, anders als die teils auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe.

Deswegen zieht Le Pen nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Vor dem Straßburger Gericht beantragte sie am Dienstag, den sofortigen Vollzug der in erster Instanz verhängten Strafe auszusetzen, teilte ihre Partei Rassemblement National (RN) mit. 

Bardella blieb loyal 

Zunächst verbat sie intern, eine Alternative auch nur zu erwähnen. Parteichef Bardella blieb loyal, wohl wissend, dass seine Zeit kommen würde. Schließlich räumte Le Pen ein, dass es „ein Wahnsinn“ wäre, wenn er sich nicht auf eine Kandidatur bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2027 vorbereiten würde. Er selbst sagte, er stehe bereit, sollte seine Mentorin verhindert sein.

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Der junge Parteichef des Rassemblement National, Jordan Bardella

Sie soll getobt haben, als das rechtsextreme Magazin „Valeurs actuelles“ im Mai auf der Titelseite einen strahlenden Bardella neben der Überschrift „Ziel 2027“ zeigte. Ebenso wie einer Umfrage im Auftrag der Denkfabrik des rechtskonservativen Milliardärs Pierre-Edouard Stérin. Dabei wurden Bardellas Chancen gegen andere potentielle Präsidentschaftskandidaten verschiedener Parteien getestet, nicht aber jene Le Pens. Auf ihr Betreiben hin wurde dies nachträglich noch eingefügt. Von Stérin, der mit seinem Reichtum gezielt rechtsextremes Gedankengut fördert, heißt es, er setze auf Bardella, der wirtschaftsliberaler ist. Mit nur 29 Jahren ist er die beliebteste politische Persönlichkeit Frankreichs.

Doch Le Pen setzt noch auf den Berufungsprozess im nächsten Jahr, wenn die Vorwürfe gegen sie neu aufgerollt werden. Doch selbst wenn das Gericht das Verbot, ein politisches Amt auszuüben, aufheben würde, drohen ein neuerlicher Schuldspruch und eine Freiheitsstrafe. Le Pen bliebe noch der Gang zum Kassationshof, um dies von der höchsten Instanz überprüfen zu lassen – mit dem Risiko einer definitiv bestätigten Verurteilung. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sie vom Hausarrest aus, wo sie ihre Haftstrafe mit elektronischer Fußfessel absitzen müsste, eine Wahlkampagne führen könnte.

Darüber hinaus geriet sie nun in Bedrängnis aufgrund ihres unbedingten Festhaltens an ihrer langjährigen Vertrauten Caroline Parmentier, der Vizefraktionsvorsitzenden des RN. Medien haben in einem rechtsextremen Magazin frühere Artikel von Parmentier voller rassistischer, homophober und antisemitischer Aussagen ausgegraben. Diese passen nicht zur „Entteufelungs-Strategie“ Le Pens, mit welcher sie dem RN ein harmloses Image verpassen will. So wird sie immer wieder eingeholt von der Geschichte der Partei, einst gegründet als Front National von ehemaligen Mitgliedern der Waffen-SS und ihrem inzwischen verstorbenen Vater Jean-Marie Le Pen, der wiederholt wegen Aufstachelung zum Rassenhass verurteilt wurde.

Bardella vertritt eine neue Generation – noch ein Vorteil für ihn in der parteiinternen Schlacht. In bisherigen Wahlkämpfen erwies sich der EU-Abgeordnete als redegewandt, aber zeigte auch viele Wissenslücken. Es bleibt offen, ob die Menschen in Frankreich 2027 einem 31-Jährigen ohne Abschluss und ohne nennenswerte berufliche Erfahrung abgesehen von seiner Parteikarriere das höchste Staatsamt übertragen würden.

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