Frankreich hat einen neuen Premier - und schon wird wieder protestiert

Frankreichs alter und neuer Premier, Francois Bayrou und Sebastien Lecornu
In aller Eile ernannte Präsident Macron seinen Vertrauten und bisherigen Verteidigungsminister Sebastien Lecornu zum neuen Regierungschef. Aber eine neue Protestbewegung will alles blockieren, also auch den "Neuen".

Es waren zwei sehr verschiedene Szenerien: Vor dem Pariser Sitz des Premierministers übergab der bei einem Vertrauensvotum im Parlament gescheiterte François Bayrou am Mittwochmittag das Amt an seinen Nachfolger Sébastien Lecornu. Umringt waren sie von elegant gekleideten Gästen, darunter auch einige Militärangehörige – schließlich war Lecornu bislang Verteidigungsminister.

Zeitgleich rüsteten sich in den Städten des Landes schwer bewaffnete Polizisten, um mögliche gewaltbereite Demonstranten und Anhänger der neuen Protestbewegung mit dem Schlachtruf „Bloquons tout“ („Blockieren wir alles“) abzuschrecken. Gestartet wurde die Initiative vor einigen Monaten im Internet. Zunächst verbreiteten ihn identitäre, rechtsextreme Randgruppen, doch bald fanden die harsche Kritik an der Regierung und Präsident Emmanuel Macron und der Appell zum Widerstand auch Zustimmung in anderen Kreisen.

'Block everything' protests sweep across France

NeUe Protestbewegung in Frankreich: "Bloquons tout"- "blockieren wir alles"

Inzwischen unterstützen die linken und grünen Parteien, einige Vereine und Arbeitnehmervertreter die Aktion. Die größten Gewerkschaften rufen in der nächsten Woche zu einem eigenen Streik- und Protesttag gegen die massiven Einsparungen, die der inzwischen geschasste Bayrou durchsetzen wollte, auf.

Erinnerung an die Gelbwesten

Um die Blockade-Bewegung, die ungute Erinnerungen an die teils gewalttätigen „Gelbwesten" weckte, von vorneherein im Keim zu ersticken, kündigte Innenminister Bruno Retailleau den Einsatz von landesweit 80.000 Sicherheitskräften und „Null-Toleranz“ an. Befürchtet wurden nicht nur Ausschreitungen, sondern auch die Blockade von strategischen Orten wie Ölraffinerien, Industriegebieten, Bahnhöfen und Autobahnzubringern. In vielen Städten gab es Demonstrationen, teils kam es dazu Zusammenstößen zwischen Protestlern und der Polizei. Mehrere hundert Menschen wurden landesweit festgenommen. Junge Leute blockierten mehrere Dutzend Schulen. Einige Züge fielen aufgrund von Personen auf den Gleisen auf. Doch zur geplanten Totalblockade kam es nicht.

Möglicherweise hatte Macron absichtlich in aller Schnelle einen Nachfolger für den gescheiterten Bayrou präsentiert, um nach vorne zu weisen. Laut Élysée-Palast beauftragte er Lecornu damit, „die im Parlament vertretenen politischen Kräfte für die Ausarbeitung eines Budgets zu Rate zu ziehen“. Erst später dann solle er sein Kabinett zusammenstellen. Dieses Vorgehen kann als Signal dafür gedeutet werden, dass es mit ihm „einen Bruch in der Form und in der Sache“ geben werde – das betonte der 39-Jährige am Mittwoch. 

Enger Vertrauter von Macron

Der enge Vertraute des Präsidenten war längst als Favorit gehandelt. Für den Staatschef hat die Ernennung den Vorteil, dass Lecornu loyal, umgänglich und ein erfahrener Politik- und Verhandlungsprofi ist. Bereits als 16-Jähriger trat der Sohn eines Luftfahrttechnikers und einer Sekretärin in die konservative Partei ein. Mit 27 wurde er Bürgermeister des Städtchens Vernon in der Normandie und nur ein Jahr später jüngster Départements-Präsident. Seit Macrons Amtsantritt war er in jedem Kabinett vertreten und leitete seit 2022 das Schlüsselressort Verteidigung.

Die Idee, die „Gelbwesten“-Bewegung mit stundenlangen Debattenrunden, an denen sich Bürgermeister, Vertreter der Zivilgesellschaft und teils auch Macron persönlich beteiligten, kam einst von ihm.

Angesichts der Aufteilung der Nationalversammlung in drei große Blöcke, von denen keiner über eine Mehrheit verfügt, kann es zudem nutzen, dass Lecornu als Mann des Kompromisses gilt, der gute Kontakte auch zur Opposition pflegt. Die Sozialisten und Grünen, die auf einen linken Premierminister gehofft hatten, reagierten zwar verärgert, die Linkspartei LFI („Das unbeugsame Frankreich“) kündigte einen Misstrauensantrag „ab der ersten parlamentarischen Sitzung“ an. 

Doch seine ehemalige Partei, die Republikaner, dürfte dem neuen Regierungschef wohlgesonnen sein, in geringerem Ausmaß auch der rechtsextreme Rassemblement National (RN). Zweimal hat er sich bereits mit Fraktionschefin Marine Le Pen zum Essen getroffen hat, einmal auch in Anwesenheit von RN-Chef Jordan Bardella. Er rede mit Vertretern aller Parteien, verteidigte sich Lecornu gegen Kritik. Ob der RN auf den Versuch, ihn zu stürzen, verzichten wird, bleibt offen. Nur weil sich ein Gesicht ändere, gelte das nicht für die Politik, kritisierte Bardella. „Macron ging nach dem Motto vor: Wechsle nie eine Mannschaft aus, die verliert.“

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