Historisches Urteil in Frankreich: Asyl für alle Palästinenser aus Gaza

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Ein Urteil des Nationalen Asylgerichts Frankreichs sorgt für Aufsehen. Könnten nun vermehrt Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Europa kommen?

Französische Medien sprechen von einer historischen Entscheidung: Frankreichs Nationales Asylgericht (CNDA) hat erstmals entschieden, dass alle Palästinenser aus dem Gazastreifen, die nicht unter dem Schutz der Vereinten Nationen stehen, als Flüchtlinge bzw. Asylberechtigte in dem Land anerkannt werden können. Geklagt hatte eine Frau aus Beit Lahia im Norden des Gazastreifens, die mit ihrem minderjährigen Sohn nach Frankreich geflohen war und zunächst nur subsidiären Schutz erhalten hatte.

Das Gericht stellte nun fest, dass die von der israelischen Armee im Gazastreifen eingesetzten Kriegsmethoden – darunter Angriffe auf zivile Infrastruktur, Vertreibungen und die Blockade humanitärer Hilfe – die gesamte Zivilbevölkerung direkt und willkürlich treffen. Aufgrund der Art und Wiederholung der Vorfälle sind sie als Verfolgung aufgrund der palästinensischen Nationalität zu werten. Bereits 2024 hatte das CNDA entschieden, dass Palästinenser aus Gaza auch dann Asyl beantragen können, wenn sie theoretisch unter UN-Schutz stehen, dieser aber faktisch nicht mehr gewährleistet ist.

"Bahnbrechendes" Urteil

Auch Europarechtsexperte Walter Obwexer spricht von einem „bahnbrechenden“ Urteil und einer weiten Auslegung durch das französische Gericht.

„Denn es bedeutet: Es genügt, palästinensischer Bürger zu sein und aus dem Gazastreifen zu kommen, um Asyl zu bekommen – eine individuelle Verfolgung muss nicht mehr nachgewiesen werden.“

Obwexer verweist im KURIER-Gespräch auf Parallelen zum EuGH-Urteil von 2024, das afghanischen Frauen aufgrund der allgemeinen Gefährdungslage pauschal Asyl in der EU zusprach. Dieses Urteil ist für alle 27 EU-Mitgliedstaaten bindend, das französische Urteil hingegen nicht. Obwexer rechnet jedoch damit, dass die Frage bald dem EuGH in Luxemburg vorgelegt wird – und dessen Entscheidung sich dann auf alle EU-Länder auswirkt.

Flüchtlingswelle nach Europa?

In Österreich gehen das Bundesverwaltungsgericht und der Verfassungsgerichtshof bislang nicht von einem generellen Asylanspruch für Palästinenser aus Gaza aus, sofern keine individuelle Verfolgung vorliegt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kann Einzelfallprüfungen durchführen.

Experten rechnen trotz des französischen Urteils nicht mit einer Flüchtlingswelle nach Europa. „Die meisten Leute kommen aus dem Gazastreifen gar nicht erst heraus. Das sind wirklich nur vereinzelte Fälle – und wenn sie es schaffen, dann ist es ein weiter, teurer Weg nach Europa“, sagt die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. Manche Palästinenser lehnen eine Flucht auch aus Angst ab, nicht mehr zurückkehren zu können. „Die Pläne Netanjahus sind schließlich bekannt.“

In Österreich werden palästinensische Geflüchtete als „staatenlos“ geführt. Die Schutzquote für diese Gruppe – die auch Nicht-Palästinenser umfasst – ist hoch, die Zahlen sind jedoch gering: Im Jahr 2024 wurden 558 Anträge gestellt, was rund zwei Prozent der insgesamt 25.000 Asylanträge entspricht. Bis Mai waren es 117 Anträge. 

„Es ist sehr lebensfremd, davon auszugehen, dass Rechtsprechung, die nur das Selbstverständliche ausspricht, einen Pullfaktor darstellt“, warnt die Asylkoordination auf KURIER-Nachfrage. Auch nach dem EuGH-Urteil im Vorjahr „ist es zu keinem Anstieg von Anträgen von afghanischen Frauen in Österreich oder in der EU gekommen“.