Warum Frankreich-Präsident Macron seine umstrittene Pensionsreform opfert

Frankreichs alter und neuer Premier,  Sebastien Lecornu
Am Donnerstag entscheidet sich, ob sich der französische Premierminister Sébastien Lecornu im Amt halten kann – die Chancen stehen gut, weil er die Pensionsreform aussetzen will. Was bedeutet das für das Land und für das Erbe des Präsidenten?

Lange hat er sich dagegen gewehrt, nun tat Emmanuel Macron den Schritt doch, mit der er eine Verschärfung der politischen Krise noch verhindern kann. Der französische Präsident akzeptierte eine Aussetzung seiner Rentenreform, die er Anfang 2023 trotz massiver Streiks und Proteste durchgesetzt hatte. Bisher galt sie als nicht verhandelbar, war sie doch das wichtigste innenpolitische Projekt seiner zweiten Amtszeit.

Trotzdem versprach sein Premierminister Sébastien Lecornu am Dienstag dessen Stopp zumindest bis 2028. Nach der Präsidentschaftswahl 2027 solle weiter über die Pensionsregeln entschieden werden. Er kam damit einer Forderung der Sozialisten entgegen, die ihre Duldung der Regierung davon abhängig gemacht hatten.

So dürfte Lecornu am Donnerstag voraussichtlich die beiden Misstrauensvoten des rechtsextremen Rassemblement National und der Linkspartei La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“) überstehen. Zwar regte sich Kritik auch aus dem eigenen Lager und jenem der Republikaner. „Diese Regierung ist die Geisel der Sozialisten“, empörte sich Parteichef Bruno Retailleau. Vereinzelt kündigten sozialistische Abgeordnete Widerstand gegen die Vorgabe ihrer Parteiführung an, Lecornu nicht das Misstrauen auszusprechen. Dennoch sieht es danach aus, dass er sich vorerst im Amt halten kann. Ansonsten hätte Macron wohl die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen.

Wachstums-Einbruch 

Selbst der Ökonom Philippe Aghion, der vor wenigen Tagen mit zwei Kollegen den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten hat, sprach sich für einen vorläufigen Stopp der Reform aus, „um die Lage zu beruhigen“. Das würde den Staat zwar etwas Geld kosten, räumte er ein. „Aber das ist ein bescheidener Preis für die wirtschaftliche und politische Stabilität.“ Die Aussetzung im nächsten Jahr schlägt mit rund 400 Millionen Euro zu Buche, 2027 dann mit 1,8 Milliarden Euro.

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron

Die Auflösung des Parlaments im Sommer 2024 führte zu einem Einbruch des Wachstums in Frankreich und kostete laut Berechnungen der Wirtschafts-Beobachtungsstelle OFCE rund 15 Milliarden Euro.

Die nun verschobene Reform sieht die stufenweise Heraufsetzung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre bis 2030 vor, während die Zahl der notwendigen Beitragsjahre von 42 auf 43 steigt. Beide Teilmaßnahmen sollen gestoppt werden, das Pensionsalter bleibt bei knapp 63 Jahren stehen. Dadurch beginnt für etwa 3,5 Millionen Franzosen der Ruhestand früher, zahlen dann aber auch weniger in die Kassen ein. Die Ausfälle müssten kompensiert werden, warnte Lecornu.

Wachsendes Defizit

Macron hatte vor allem mit Blick auf das wachsende Defizit die Reform am Parlament vorbei durchgesetzt. Dieses hätte sonst laut Rentenrat im Jahr 2030 zehn bis zwölf Milliarden Euro erreicht, Tendenz steigend. „Die einzige Möglichkeit, unser Umlagesystem zu retten, ist, dass jeder etwas länger arbeitet“, sagte der Präsident damals. Die Gesellschaft werde älter, während die Menschen im Schnitt immer später ins Berufsleben eintreten. In Frankreich finanzieren die Berufstätigen die Pensionen, eine private Vorsorge ist wenig verbreitet.

Tatsächlich gehen die Franzosen im Schnitt mit gut 63 Jahren in Pension – mehr als aktuell von der Reform vorgesehen. Vor allem Menschen mit Studienabschluss, die später zu arbeiten beginnen, erreichen sonst nicht die für eine Rente ohne Abschläge notwendige Zahl von Berufsjahren. Als besonders benachteiligt gelten Frauen, die insgesamt rund acht Monate später den Ruhestand beginnen, weil sie öfter in Teilzeit arbeiten oder wegen der Kindererziehung aussetzen. Für sie sowie für Menschen mit körperlich besonders anstrengenden Berufen kündigte Lecornu Verbesserungen an.

Macron selbst hat sich noch nicht zum Stopp seines Vorzeige-Gesetzes geäußert. Sein Vorgänger François Hollande, der als sozialistischer Abgeordneter in der Nationalversammlung sitzt, sagte am Mittwoch, eine Rentenform allein stelle nie das gesamte Erbe eines Präsidenten dar. „Was bleibt, sind die Krisen, die durchquert wurden, wie ein Staatschef ihnen begegnet und den Franzosen erlaubt hat, geeint zu bleiben und sogar stärker zu werden“, so Hollande. Im Fall von Macron habe er während der Corona-Pandemie eine solche Rolle eingenommen – wenigstens das sei ihm zugute zu halten.

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