Neuer Premier ist der alte: Macron will es noch einmal mit Lecornu versuchen

Erst am Mittwoch sagte Sébastien Lecornu, seine Mission, die ihm Frankreichs Präsident Emmanuel Macron aufgetragen habe, sei beendet. Er habe kein Interesse daran, nochmals Premierminister zu werden. Seit seinem überraschenden Rücktritt zwei Tage zuvor hatte er mit den diversen Parteien des Landes verhandelt, um einen Weg aus der politischen Sackgasse zu finden – vorerst ohne Resultat.
Bis Freitagabend, kündigte Lecornu lediglich an, werde Macron einen Nachfolger ernennen. Das tat der Staatschef schließlich auch. Tatsächlich aber ist der neue Regierungschef der alte: Sébastien Lecornu. Sollte die Entscheidung eigentlich spätestens um 20 Uhr fallen, zog sie sich bis 22 Uhr – ein klares Anzeichen dafür, dass Macron lange schwankte, zögerte und nur unbefriedigende Optionen zur Auswahl hatte. Frankreich hat eine aufregende Woche lang dramatisches Politikspektakel erlebt – um schließlich wieder beim Anfangspunkt anzukommen. Die Krise ist keineswegs beendet.
"Aus Pflichtgefühl"
Lecornus Hauptaufgabe wird weiterhin darin bestehen, ein Haushaltsgesetz für 2026 auszuarbeiten, das die parlamentarische Hürde nimmt, ohne dass er gestürzt wird. Ein entsprechender Entwurf muss bis Montag in die Nationalversammlung eingebracht werden, um noch in diesem Jahr beschlossen werden zu können. Das vollständige Kabinett kann auch noch später ernannt werden. Der Druck ist immens, doch ob und wie lange sich der 39-Jährige im Amt halten kann, erscheint völlig ungewiss.
"Aus Pflichtgefühl" nehme er die ihm übertragene Aufgabe an, ließ Lecornu am Abend wissen. Er sei eine Mischung aus Mönch und Soldat, sagte er am Mittwoch bei einem Fernsehinterview in Anspielung auf seinen früheren Wunsch, ins Kloster zu gehen, sowie auf seine Jahre als Verteidigungsminister unter Macron.
Zwar hat er durch seine uneitle, besonnene Art in den wenigen Wochen im Amt in der Bevölkerung an Sympathien gewonnen. Trotzdem gilt er als sehr und möglicherweise zu eng mit Macron verbunden, der neue Unbeliebtheitsrekorde erreicht: Nur noch 16 Prozent der Menschen in Frankreich vertrauen ihm.
"Keine Garantie" von der Linken
Nach Lecornus Ernennung zeigten sich die Vertreter der Linken, Grünen und Sozialisten unzufrieden und gaben „keine Garantie“ ab, die Regierung nicht zu stürzen. Sie hatten eine Rücknahme der Rentenreform aus dem Jahr 2023 gefordert, zu der Macron nicht bereit ist; außerdem drohten andere seiner bisherigen Koalitionspartner wie die Republikaner, ihre Unterstützung in diesem Fall zurückzuziehen. Macrons Entscheidung zeige, dass er „isolierter und entfremdeter denn je“ sei, reagierte der Chef des rechtsextremen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella.
Zuvor war ein Krisentreffen ergebnislos verlaufen, das Macron mit den Vertretern aller Parteien außer dem RN und der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“) einberufen hatte. Beide Parteien hatten von vorneherein jede Kooperation ausgeschlossen. Die Gespräche sollten ein „Moment des kollektiven Verantwortungsbewusstseins“ sein, hieß es aus Macrons Umfeld. Wiederholt hat er seine Gegenspieler zu Kompromissen aufgerufen – ohne selbst welche zu machen.
Um einen Teil der Opposition auf seine Seite zu ziehen, drohte er mit einer Auflösung der Nationalversammlung, auf die neue Parlamentswahlen folgen würden. Allerdings ist dies nicht im Interesse der meisten Parteien. Umfragen zufolge drohen diese überwiegend Sitze zu verlieren; großer Gewinner könnte der rechtsextreme RN sein. Dementsprechend wenig kompromissbereit zeigte sich RN-Fraktionschefin Marine Le Pen. „Von jetzt an stürze ich jeden, der da kommt“, kündigte sie in dieser Woche an.
Angesichts dieser für ihn ungünstigen Gemengelage versuchte der Präsident mit der neuerlichen Ernennung Lecornus in erster Linie, Zeit zu gewinnen – und seine noch verbleibende Amtszeit bis Frühjahr 2027 zu retten. Tatsächlich war zuletzt sogar aus dem eigenen Lager, vor allem von seinem E-Premierminister Édouard Philippe, die Forderung eines vorzeitigen, geordneten Rücktritts laut geworden.
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