Familie in Corona-Angst: "Habe seit zehn Tagen meine Frau nicht geküsst"

Michele Bartoli schwebte lange im Ungewissen
Ein italienischer Familienvater erzählt von der selbst gewählten Gefangenschaft.

Michele Bartoli lebt in Foligno in Mittelitalien. Seine Familie  besitzt drei Apotheken. Der 43-Jährige isolierte sich sofort selbst, als er vergangene Woche Symptome einer Corona-Infektion zeigte.

KURIER: Wie geht es Ihnen?

Michele Bartoli: Seit gestern besser. Ich hatte alle Anzeichen einer möglichen Corona-Infektion, vom Husten über Schmerzen in der Brust bis zum Fieber. Daraufhin habe ich mich vorsichtshalber von meiner Familie ferngehalten. Erst jetzt habe ich ein Testergebnis bekommen, dass ich derzeit nicht infiziert bin. Aber die Angst ist immer noch da. Meine drei Töchter hatten mehr als 40 Grad Fieber, und sie sind noch nicht getestet.

Warum dauert das so lange mit den Tests?

Einen Test kann man nicht einfach kaufen. Die Gesundheitsbehörde entscheidet, ob du getestet wirst, und da kommen erst einmal die sehr schweren Fälle und Risikogruppen dran. Insofern ist mit einer sehr, sehr hohen Dunkelziffer zu rechnen.

Wie ist das Leben zu Hause?

Um einander nicht anzustecken, sehen wir uns wenig. Die Lebensmittel werden uns geliefert, wir halten bei Tisch größtmöglichen Abstand. Ich habe meine Frau seit zehn Tagen nicht geküsst. Auch meine Mutter sehe ich kaum. Dabei haben wir es noch gut, wohnen immerhin in einem Haus – andere Familien sind voneinander getrennt. Darum geht derzeit viel über die sozialen Medien.

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Die Schulen sind zu, was tut man mit den Kindern?

Von zwei arbeitenden Elternteilen darf jetzt einer zu Hause bleiben. Und es wird 600-Euro-Gutscheine für Kinderbetreuung geben. Schon schießen die Babysitter wie Schwammerl aus dem Boden.

Ihre Familie besitzt drei Apotheken. Werden diese gestürmt?

Wir lassen derzeit immer nur zwei Kunden gleichzeitig ins Geschäft. Draußen aber bilden sich lange Schlangen, und natürlich fürchten sich die Menschen, sich dort anzustecken. Wir haben die Hauszustellung ausgebaut.

Bleiben nicht alle daheim?

Viele schon, viel zu viele aber nicht. Die Polizei kontrolliert, ob man eine Unbedenklichkeitsbestätigung dabei hat, die man sich paradoxerweise selbst ausstellt. Die Bars sind geschlossen, aber die Leute gehen auf die Straßen und in die Parks, um sich dort zu treffen. Es ist ihnen nicht bewusst, dass sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Mitmenschen verantwortlich sind. Sie kaufen ein, obwohl die Supermärkte ja ohnehin offen halten. Angeblich wurde sogar eine Frau, die wusste, dass sie Corona-infiziert ist,  beim Einkaufen erwischt. Andere gehen zum Beispiel joggen und bedenken nicht, was passiert, wenn sie einen Unfall haben, dass sie dann wertvolle Ressourcen blockieren, dass sie die Rettungskräfte anstecken könnten. Jeder sollte jetzt Verantwortung zeigen und ein wenig zurückstecken. Das gilt auch über Italien hinaus.

Gehen die Menschen denn überhaupt noch arbeiten?

Die meisten Geschäfte sind zu, die Industrie und viele wichtige Betriebe haben aber offen. Wer arbeiten gehen kann, tut das auch, denn jeder ist froh, der derzeit Arbeit hat. Wer kann, macht Homeoffice. Für Selbstständige ist die Situation allerdings eine Katastrophe, sie haben keine Einnahmen, sollen aber ihre Steuern zahlen. Ich würde mir hier staatliche Erleichterungen wünschen. Heute sind die Geschäfte wegen des Virus zu, aber in ein paar Monaten können sie gar nicht mehr aufmachen, da sie pleite sind.

Sind die Italiener wütend über die Einschränkungen?

Und ob. Aber es gibt keine Alternativen, selbst wenn der wirtschaftliche Schaden immens ist. Es wird vielleicht zwei Monate dauern, bis eine Beruhigung eintritt.

Wie weit plant man in so einer Situation voraus?

Man denkt eher von heute auf morgen als bis in den Sommer hinein. Aber ich rechne damit, dass die traditionellen August-Ferien heuer ausfallen. Viele Betriebe schauen, dass sie ihre Ferien jetzt schon machen.

Birgt die Krise auch irgendeine Chance?

Ich hoffe, dass man erkannt hat, wie unterdotiert unser Gesundheitssystem ist. Vielleicht stärkt sie den Zusammenhalt der Familien. Und womöglich erkennt mancher, dass ihm sein Geld nichts hilft, wenn er nicht mehr vor die Türe gehen kann.

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