Brüssel arbeitet an einer europäischen CIA
„Preparedness“, sprich Vorbereitung, ist eines der Lieblingswörter von Ursula von der Leyen. Seit der Pandemie hat Brüssel die Versorgungssicherung zur Priorität gemacht, seit Putin die Ukraine überfallen ließ, galt dasselbe für die eigene Abwehrbereitschaft. Und seit Donald Trump wieder im Weißen Haus sitzt, will die Kommission auch die eigene Sicherheit zur Chefsache machen: Weil die USA beim Austausch wichtiger Informationen ein derart unzuverlässiger Partner geworden ist, denkt Brüssel laut der Financial Times nun ganz ernsthaft über einen eigenen, EU-weiten Nachrichtendienst nach.
Überlegungen dazu gibt es aber schon seit Längerem. Vor einem Jahr untersuchte eine Kommission unter dem finnische Ex-Präsident Sauli Niinistö die Verteidigungsbereitschaft der Union; sie kam dabei zum Schluss, dass der Nachrichtenaustausch unter den Mitgliedsstaaten mehr als lückenhaft ist – er forderte einen „vollwertigen EU-Nachrichtendienst, der sowohl strategischen als auch operativen Anforderungen gerecht wird“. Einfach ausgedrückt heißt das: Brüssel sollte am besten nicht nur Informationen aus den Mitgliedsländern bekommen, sondern auch über eigene Spione verfügen.
Misstrauen ist groß
Echte Dringlichkeit bekam die Idee im Frühling, als die USA der Ukraine von einem Tag auf den anderen keine Geheimdiensterkenntnisse mehr zur Verfügung stellten. Die Ukraine operierte daraufhin einige Zeit im Blindflug, und in Europas Hauptstädten machte sich die Angst breit, ebenso wegen einer Nichtigkeit von Washingtons Freundesliste gekickt zu werden. Dazu kam die Furcht, wieder selbst zum Zielobjekt der Amerikaner zu werden: Schon Mitte der 2010er-Jahre spionierte die NSA hochrangigen europäischen Politikern wie Angela Merkel hinterher. Seit ein paar Monaten nutzen Kommissionsbeamte bei US-Besuchen daher sogenannte „Burner Phones“, also Einweghandys, die Niederlande kündigten gleich jegliche Geheimdienst-Kooperation mit den USA ganz auf.
Noch mehr Rückenwind verschafften der Idee aber die Drohnen, die Europas kritischer Infrastruktur seit Kurzem regelmäßig heimsuchen. Auch zur Abwehr potenzieller Sabotageakte wäre das Teilen von geheimer Information nötig; doch genau das ist der Knackpunkt des „europäischen CIA“, wie das Politmagazin Politico das Vorhaben taufte: Bisher scheiterte eine großflächige Dienste-Kooperation nämlich am Misstrauen, das die Staaten untereinander seit Jahrzehnten haben – und das sie vor allem Brüssel gegenüber haben.
Zwar gibt es neben dem Berner Club, einer informellen Austauschplattform der europäischen Dienste ohne jegliche Strukturen (siehe Infokasten), mit dem Internen Informations- und Lagezentrum (INTCEN) und EU Military Staff Intelligence Directorate schon seit den 1990ern zwei Behörden, die Erkenntnisse aus den EU-Staaten sammeln. Doch bis dato ist der Austausch freiwillig, ein flächendeckendes Bild hat Brüssel laut Experten darum nicht. Besonders zurückhaltend sind da vor allem die großen Dienste: Frankreich, die Niederlande, Deutschland und bis 2019 auch Großbritannien fürchteten stets, ihre Daten könnten in falsche Hände geraten – und dann etwa in Moskau landen.
Five Eyes: Auch jetzt tauschen Nachrichtendienste weltweit bereits Informationen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die „Five Eyes“ gegründet, eine Kooperation von Australien, Kanada, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich und den USA. Das Netzwerk operierte lange im Geheimen, bekannt wurde es durch die Enthüllungen Edward Snowdens.
Berner Club: Als europäisches Pendant existiert seit 1971 der Berner Club, dessen Existenz nie formalisiert wurde – es gibt kein Hauptquartier, man trifft sich nur zweimal im Jahr. Dabei sind alle EU-Staaten bis auf Malta, Bulgarien wurde wegen Bedenken erst kürzlich aufgenommen, plus die Schweiz und Norwegen.
Ungarns EU-Spione
Ganz von der Hand zu weisen ist diese Angst auch nicht, wie erst kürzlich wieder sichtbar wurde. Vor kurzem wurde öffentlich, dass Ungarn bis 2017 als Diplomaten getarnte Spione in Brüsseler Institutionen entsendet haben soll, die Material über Beamte und Politiker gesammelt haben sollen – das hätte dann wohl zu erpresserischen Zwecken eingesetzt werden sollen. Auch Bulgariens Nachrichtendienst galt lange als von Moskauer Spionen unterwandert, und selbst Österreich galt einige Zeit als nicht vertrauenswürdig: Weil unter dem damaligen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl eine Razzia im BVT durchgeführt wurde und dortigen Beamten auch noch Kontakte nach Moskau nachgewiesen wurden, flogen die Wiener Spione aus dem Berner Club.
Moskaus Freunde
Dazu kommt, dass mehr und mehr Regierungen in EU-Staaten ihre Position in puncto Russland verändern. Als problematisch gilt darum nicht nur Ungarn, auch Tschechien wurde unter dem neuen Premier Andrej Babiš zur Liste der Wackelkandidaten hinzugefügt.
Viele EU-Hauptstädte hätten deshalb große Bedenken, was Von der Leyens Plan eines neuen, bei der Kommission angesiedelten Geheimdienst angeht, schreibt die FT. Die Kommission selbst äußerte sich zu den Plänen darum auch nur sehr zurückhaltend: Man „prüfe“, wie man die eigenen Sicherheits- und Nachrichtendienste stärken könne, sagte ein Sprecher – aber alles sei „in einer frühen Phase“. Von Brüsseler James Bonds ist man damit noch weit entfernt.
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