EU-Sondergipfel: Selenskijs Kampf um Europas Waffen und Herzen

EU-Sondergipfel: Selenskijs Kampf um Europas Waffen  und Herzen
Um diesen speziellen Gipfelgast haben sich in Brüssel alle gerissen: Dabei kam der umjubelte ukrainische Präsident nicht ohne Forderungen.

Wenn die Polizei in doppelter Mannschaftsstärke rund um das bei EU-Gipfeln ohnehin immer hermetisch abgeriegelte Europaviertel aufmarschiert; wenn EU-Abgeordnete nach einer Rede im Parlament begeistert aufspringen und minutenlang klatschen; wenn sich 27 europäische Staats- und Regierungschefs um einen Überraschungsgast herumdrängeln – dann ist ein besonderer Besucher in Brüssel eingeflogen:

Wolodimir Selenskij, Präsident der Ukraine, kam nach seinen überraschenden Reisen nach London und Paris am Donnerstag auch in der europäischen Hauptstadt an.

Sollte es als Blitzbesuch geplant gewesen sein, so wurde daraus nichts. Jeder der EU-Granden, jeder EU-Abgeordnete, jeder der rund 1.000 Journalisten im überfüllten Ratsgebäude wollte den Kriegspräsidenten in seinen khakifarbenen Hosen und schwarzem Armeepullover einmal aus nächster Nähe sehen.

Und jeder einmal mit ihm reden.

Waffenliste

Doch Vier-Augen-Gespräche mit Selenskij waren nicht einmal den Regierungschefs möglich. Jeweils in Sechser- oder Siebenergruppen tauschten sie sich mit dem 40-jährigen ukrainischen Staatschef aus. Österreichs Kanzler Karl Nehammer sprach zusammen mit den Regierungschefs aus Ungarn, Slowenien, Kroatien, Bulgarien, Griechenland und Zypern mit dem umworbenen „speziellen Gast“ des Gipfels.

Der legte gleich einmal eine Liste mit Waffen vor, die Ukraines Armee benötigt. Worauf Nehammer klarstellte: Als militärisch neutrales Land werde Österreich keine Waffen liefern, die Ukraine aber weiterhin humanitär unterstützen. Auch Ungarn lehnte Waffenlieferungen ab.

Dem von einem Jahr Krieg gezeichneten und erschöpft wirkenden Selenskij strömte in Brüssel breite Unterstützung entgegen. Der Kampf der Ukraine gegen die russischen Invasoren – das erinnere an den Kampf David gegen Goliath, sagte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.

Die junge Präsidentin des europäischen Abgeordnetenhauses zählt zu den größten Unterstützerinnen des ukrainischen Staatschefs. Bereits am 1. April des Vorjahres war sie nach Kiew gereist.

Klipp und klar forderte Metsola gestern: „Nun müssen die Staaten als nächsten Schritt erwägen, schnell weitreichende Systeme und Flugzeuge bereitzustellen“, sagte sie an der Seite Selenskijs im Plenum des EU-Parlaments. Und sie versprach: „Wir werden an der Seite der Ukraine stehen, so lange es eben dauert.“

„Bis zum Sieg“

Noch deutlicher hatte es zuvor schon Frankreichs Präsident Emmanuel Macron postuliert: Europa werden die Ukraine „bis zum Sieg begleiten“. Wogegen der deutsche Kanzler Olaf Scholz wählte seine Worte etwas vorsichtiger: „Russland darf nicht gewinnen.“ Keiner aus dem deutsch-französischen Führungstandem formulierte allerdings genauer: Was bedeutet ein Sieg der Ukraine? Und was genau muss Europa dafür noch tun? Wie viel Hilfe leisten? Wie viele Waffen schicken?

67 Milliarden Euro hat die EU seit Kriegsbeginn an Hilfen für die Ukraine insgesamt mobilisiert. „Aber wir müssen noch mehr leisten, die Ukraine noch mehr unterstützen, damit sie diesen Krieg gewinnen kann“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

„Ich habe einen positiven Eindruck“, sagte Selenskij nach den Gesprächen in Brüssel und deutete somit indirekt an, dass er mit weiteren Waffenlieferungen der Europäer rechnet. Langstreckenraketen, mehr Panzer, Kampfflugzeuge – alles benötige die Ukraine, um sich gegen die bevorstehende russische Offensive wehren zu können.

„Wir brauchen diese Waffen, und wir brauchen Finanzmittel, um überleben zu können“, sagte er. Und, am Ende seiner kleinen Europatour, gestand er ein: „Ich kann nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkehren.“

Doch Selenskij, ein Meister der Kommunikation, wusste auch, dass er in Brüssel nicht nur fordern kann. Immer wieder bedankte sich der ukrainische Präsident bei „jedem einzelnen Dorf, bei jedem einzelnen Europäer“, der die Ukraine unterstütze Und er betonte die tiefe Verbundenheit der Ukraine mit Europa.

Er hoffe, so äußerte der Kriegspräsident die wenig erfüllbare Hoffnung, „dass noch heuer Beitrittsgespräche zwischen Brüssel und Kiew beginnen. Uns verbindet eine gemeinsame europäische Geschichte.“ Der Europäischen Union beizutreten, sagte der ukrainische Präsident, das wäre „für uns ein Weg, um nach Hause zurückzukehren“.

Dass aber die Ukraine auf schnellstem Weg Mitglied der EU werden wird, wollte Selenskij getern niemand versprechen. "Es gibt keine Schnellspur in die EU", sagte ein Regierungschef, "daran ändert auch der Krieg nichts."

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