Jagd nach Rohstoffen: Wie Europa gegen USA und China aufholen will
Eine Mine in Afghanistan
Aus Argentinien ist Stéphane Séjourné erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt, diese Woche geht es nach Südafrika. Reisen nach Estland und Brasilien stehen kurz bevor. So unterschiedlich die Reiseziele sein mögen, das Anliegen des EU-Kommissars für Industrie ist immer das Gleiche: Geschäfte mit Bergwerken und Minen für europäische Investoren anzubahnen.
Es ist der Versuch einer „Aufholjagd“, wie es Vertreter der EU-Kommission im Hintergrund nennen, man sei in diesem Rennen um Rohstoffe „abgehängt“ worden. Und zwar von den USA und von China, die diese Rohstoffe als politische Waffe einsetzen. Europa, so macht es Séjourné in der "Financial Times" selbst schmerzhaft deutlich, sei dabei zum „Kollateralschaden“ eines Konflikts zwischen den beiden Supermächten geworden. Wie schwer dieser Kollateralschaden inzwischen ist, wurde erst vor wenigen Wochen deutlich, als Chinas Exportbeschränkungen für Seltene Erden große Teile der europäischen Industrie lahmzulegen drohten.
Erfasst hat man das Problem in Brüssel schon vor Jahren. Es gibt eine Liste, auf der insgesamt 34 Rohstoffe, also Mineralien, aufgeführt sind, ohne die Europas Industrie quasi stillstehen würde. Die reichen von Erzen wie Kupfer oder Nickel über Lithium und Kobalt, unverzichtbar für Digitalisierung und Energiewende, bis zu den Seltenen Erden. Dazu gibt es das passende „Gesetz zu kritischen Rohstoffen“ und inzwischen auch ein Verzeichnis von 47 Abbauplätzen in Europa, an denen man die Förderung dringend ankurbeln sollte. Das Problem ist jedoch: Das alles ist vorerst nur Papier – und das während China und die USA ihre Politik täglich in die Praxis umsetzen – mit aller Brutalität.
Anrufe "beinahe täglich" - Anteile an Minen und Abbaulizenzen sind begehrt
Egal, ob in Lateinamerika, oder Afrika, es gebe keine Mine mehr, bei der die Investoren nicht längst an die Tür klopfen würden – mit sehr viel Geld in der Hand, schildert man in der EU-Kommission den Wettlauf um die entsprechenden Lizenzen. Die Minenbetreiber würden „beinahe täglich“ mit Anrufen und Angeboten bombardiert. Kaum seien die Vorkommen erfasst, würden auch schon die Abnahmeverträge abgeschlossen. Hat die EU-Kommission eine Mine ausfindig gemacht, bei der noch nicht alles verkauft ist, tritt Séjourné auf den Plan, um möglichst rasch Verhandlungen einzuleiten.
Es fehlt an Investoren
Das Problem dabei: Während die Investoren aus den USA gleich auch die entsprechenden Abnehmer aus der Industrie und damit langjährige Verträge bei der Hand haben, fehlen diese Investoren oft in Europa. Man hält sich zurück, wartet, bis alles unter Dach und Fach und die Lieferungen an die Industrie losgehen können. Dann aber haben die Mitbewerber aus Übersee längst zugeschlagen. Die einzige Möglichkeit, um diese Finanzierungslücke zu überbrücken ist die Europäische Investitionsbank (EIB), doch die hat als Institution der EU natürlich weit strengere Kriterien als etwa ein privater Investor aus den USA. Das macht Verhandlungen wieder langwierig.
Jagd auf Seltene Erden
Selbst bei den 47 von der EU aufgelisteten Minen in Europa stehen längst die nicht europäischen Investoren vor der Tür, auf die EU ist da niemand bereit zu warten. Besonders dramatisch ist die Lage bei den Seltenen Erden. China hat derzeit 70 Prozent der verschlossenen Vorkommen und 90 Prozent der Verarbeitung in der Hand. Vorkommen dieser gar nicht so seltenen Seltenen Erden gibt es rund um den Globus, auch in Europa. Den energiefressenden und für die Umwelt sehr belastenden Abbau hat man aber nur zu gerne den Chinesen überlassen.
In Brüssel ist inzwischen allen Beteiligten klar, dass Pläne und Strategiepapiere nicht mehr reichen. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat der Sache höchste Dringlichkeit gegeben. Noch vor Jahresende sollen Verträge mit Minen zumindest einmal vereinbart sein. Für akute Versorgungsnotstände sollen Lager mit den am dringendsten gebrauchten Rohstoffen angelegt werden. Die eiligen Reisen des Kommissars für Industrie sind also nur der sichtbarste Teil einer hektischen Aufholjagd. Europa sei „endlich aufgewacht“, kommentiert ein Unternehmer das Geschehen. Man habe endlich das Ausmaß der Bedrohung erkannt. Seit dem Schock durch Chinas Exportbeschränkungen, gebe es „jede Menge Notfalls-Telefonate“.
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