EU-Gipfel in Bratislava: Schicksalstag für die Union

Ein formelles Treffen mit vielen Personen an einem langen Tisch in einem opulenten Raum.
Auf dem informellen EU-Sondergipfel soll der Fahrplan der nächsten sechs Monate für die wichtigsten Fragen, die die Union beschäftigen, fixiert werden.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Heute Freitag treffen sich die Regierungsspitzen von 27-EU-Mitgliedsstaaten in Bratislava
  • Großbritannien wird, wegen des Brexit-Votums im Juni, dem Gipfel nicht beiwohnen
  • Die Slowakei hat den EU-Ratsvorsitz, daher findet der Gipfel in Bratislava statt
  • Der Sondergipfel soll helfen, die Uneinigkeit innerhalb der Union in Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik zu überwinden
  • Die dringendsten Themen sind: Grenzsicherung, Abwehr von Terror und Überwindung der Wirtschaftsflaute
  • Es soll ein Fahrplan für die nächsten sechs Monate festgelegt werden

Auf dem informellen EU-Sondergipfel in der slowakischen Hauptstadt Bratislava werden die Regierungsspitzen der EU-Mitgliedsstaaten – ohne Beisein von Großbritannien – über den Weg diskutieren, den die EU zukünftig einschlagen soll. Dabei soll ein Fahrplan der nächsten sechs Monate für die wichtigsten Fragen beschlossen werden, sagte der slowakische Regierungschef Robert Fico. Die Union steckt wegen des angekündigten Brexit, aber auch wegen eines Dauerstreits über die Flüchtlings- und Wirtschaftspolitik in einer schweren Krise. Zentrale Themen des Gipfels sollen die Grenzsicherung, die Abwehr von Terror und die Überwindung der Wirtschaftsflaute sein. Unmittelbar vor dem Treffen sorgt die Forderung von Viktor Orban nach der Errichtung von Grenzzäunen als "Lösung" für Aufsehen. "Handeln ist gefragt, nicht Selbstaufgabe", erklärte der rechts-konservative Politiker in einem Rundfunk-Interview.

Aufnahme von Flüchtlingen sei Nihilismus

Wenn es den USA gelinge, mit einer Sperranlage Einwanderer abzuhalten, "dann sehe ich nicht ein, warum wir Europäer dazu nicht in der Lage sein sollten", fügte Orban hinzu. Die - nicht näher genannten europäischen Politikern und Meinungsbildnern zugeschriebene - Haltung, dass man ohnehin nichts machen könne und über die Aufnahme von Flüchtlingen nachdenken müsse, bezeichnete Orban als "Nihilismus".

Das Rundfunk-Interview wurde wegen Orbans Reise nach Bratislava am Donnerstagabend aufgezeichnet und am Freitag gesendet. Orban hatte im Herbst des Vorjahres stacheldrahtbewehrte Zäune an den Grenzen Ungarns zu Serbien und Kroatien errichten lassen.

Österreichs Notverordnung "seltsam"

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto kritisierte bereits am Donnerstag die geplante Asyl-Notverordnung Österreichs, die eine Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze ermöglichen soll. "Diese Maßnahme wäre ziemlich seltsam", sagte Szijjarto am Donnerstagabend in der ZiB2 mit Blick auf die gemeinsame Mitgliedschaft Österreichs und Ungarns im Schengen-Raum. Stattdessen sollten Wien und Budapest gemeinsam die Außengrenze schützen.

Ein Mann im Anzug spricht vor einer Reihe von Mikrofonen.
Slovakia's Prime minister Robert Fico addresses media as he arrives for the informal EU summit at the Bratislava Castle in the Slovak capital on September 16, 2016. The 27 EU leaders hold a special summit without Britain to chart the bloc's future after Brexit, focusing on defence, security and migration. / AFP PHOTO / Joe KLAMAR

Die slowakische Regierung mahnt indes zum Auftakt des Gipfels zu Ehrlichkeit und Einigkeit in der zuletzt zerstrittenen Union. "Ich habe keinen Zweifel, dass der Gipfel in diesem Sinne ein Erfolg wird“, sagt Fico. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will "beweisen, dass Europa funktioniert". Vor Beginn des Gipfels sagte Juncker, es gehe auch darum "Differenzen auszuräumen".

Kern: "Keine Revolutionen"

Bundeskanzler Christian Kern vor dem Gipfel optimistisch gezeigt, dass die EU aus der Krise kommt. "Wer Europa liebt, der muss Interesse daran haben, dass es sich verändert. Ich bin sehr optimistisch dass wir hier heute gute Fortschritte besprechen können. Das werden nicht die großen Revolutionen sein", sagte Kern am Freitag.

Fortschritte erwartet der Bundeskanzler zur Sicherung der Außengrenzen, bei Hilfspaketen für die Herkunftsländer von Migranten und bezüglich Investitionen der EU in Wirtschaftswachstum.

"Das wird in kleinen Schritten möglich sein", sagte Kern. Auf der Agenda des Gipfels stehe auch die Sicherung der türkisch-bulgarischen Grenze. Der Großteil der EU-Staaten werde Bulgarien zusätzliche Kräfte über die EU-Grenzschutzagentur Frontex und mit Logistik zur Verfügung stellen, erwartet Kern. Der Kanzler erwartet auch ein klares Bekenntnis der EU, Gelder für die Ursprungsländer der Flüchtlinge in Nordafrika in die Hand zunehmen.

Sobotka: "Eine der letzten Chancen der EU"

Österreichs Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) setzt große Hoffnungen in den Sondergipfel. Das Treffen sei "eine der letzten Chancen der EU, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen", sagte Sobotka am Freitag im ZDF-"Morgenmagazin". Entscheidend seien nun die Maßnahmen, die man setze, nur diese könnten das Vertrauen steigern.

Zudem müsse klar sein, dass die europäischen Außengrenzen wirksam geschützt und Migration gestoppt (...) werden müsse, ansonsten werde es "schwer sein, die europäische Idee, die eine Friedensidee ist, aufrechtzuerhalten", erklärte der Minister. Es gehe nun "an den Kern der EU".

Die angedrohte Klage gegen Ungarn wegen des Verstoßes gegen die Dublin-Regelung (Rücknahme von Asylwerbern, Anm.) verteidigte Sobotka einmal mehr. Wenn Vorschriften nicht eingehalten werden, sehe man sich "gezwungen, seine Bürger in ihren Rechten zu schützen". Zur Notverordnung sagte der Innenminister, dass die Grenze von 37.500 "gar nicht durchstoßen" werden soll. Doch gehe es darum, Migration zu begrenzen, denn in Österreich sei das wichtigste Instrument, um Asylberechtigte zu integrieren, angesichts der hohen Arbeitslosigkeit "nicht mehr gesichert. Daher muss es eine Grenze geben."

Merkel: Konkrete Vorschläge machen

Angela Merkel bei einer Veranstaltung, begleitet von einem Sicherheitsbeamten.
Germany's Chancellor Angela Merkel arrives for the informal EU summit at the Bratislava Castle in the Slovak capital on September 16, 2016. The 27 EU leaders hold a special summit without Britain to chart the bloc's future after Brexit, focusing on defence, security and migration. / AFP PHOTO / VLADIMIR SIMICEK

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sieht die EU in einer "kritischen Situation". "Es geht darum, durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können im Bereich der Sicherheit, der inneren und äußeren, der Bekämpfung des Terrorismus, der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich, des Wachstums und der Arbeitsplätze".

Natürlich müsse sich die EU auch mit den anstehenden Fragen des Schutzes der Außengrenzen und der Bekämpfung der Fluchtursachen beschäftigen. Es gehe darum, konkrete Vorschläge zu machen. Beim heutigen Treffen werde die "Agenda von Bratislava" diskutiert. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe deutlich gemacht, dass die Kommission eine solche Agenda verfolge und "deshalb hoffe ich, dass wir in Bratislava zeigen, dass wir zusammenarbeiten und Probleme in Europa lösen wollen".

Schulz "nicht superoptimistisch"

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, hat sich "nicht superoptimistisch" für den Ausgang des Gipfels gezeigt. Schulz sagte kurz nach Beginn der Beratungen, er sei aber auch nicht pessimistisch. Beim Brexit müsse es darum gehen, "Schaden für beide Seiten zu vermeiden".

Zur Flüchtlingsverteilung merkte er an, eine Kombination aus verpflichtender und freiwilliger Quote wäre möglich. Er habe im Vorfeld des Gipfels mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gesprochen. Orban hatte Schulz und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuletzt als "Nihilisten" abqualifiziert. Schulz meinte, er wolle nicht auf derselben Ebene antworten. Bei seinem Gespräch mit Orban habe er erklärt, es wäre besser, sich zu treffen und trotz der tiefen Meinungsunterschiede zu reden über "das was uns trennt".

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