Als Orbán aus dem Saal ging: Der Weg in die EU für Ukraine ist frei

Das Frühstück am Donnerstagmorgen, das hatte ihn zuletzt doch milde gestimmt. Schließlich hatten sich ja vom deutschen Kanzler Olaf Scholz bis zur EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen fast alle EU-Schwergewichte zu ihm an den Tisch gesetzt. Abends beim EU-Gipfel zeigte das schließlich Wirkung: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán gab den Weg für EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau frei - er ging einfach aus dem Saal. Die Idee hatte abends plötzlich der deutsche Kanzler Olaf Scholz ins Spiel gebracht. Die Verhandlungen können also sofort starten.
Auch beim Geld für die Ukraine zeigt sich Orban allmählich verhandlungsbereit. Trotzdem wollte er den Milliarden für die Ukraine zuletzt nicht zustimmen. An einer Lösung muss wohl weiter gebastelt werden.
Ende aller Sturheit
Orbáns Sturheit scheint also verschwunden. Die EU-Kommission habe Kriterien für den Beginn von Beitrittsgesprächen gesetzt, hatte er zuletzt noch ständig wiederholt – und die habe die Ukraine nicht erfüllt. Es gehe da schlicht um Prinzipien, die nicht er ausgerufen habe.
War es ein Deal?
War es also ein Deal, der Orbán zum Einlenken brachte? Davon will der Ungar auf jeden Fall nichts wissen. Dass sein Land ausgerechnet am Vorabend des Gipfels zehn Milliarden Euro an eingefrorenen Fördergeldern aus Brüssel bekommen hatte, sei das Ergebnis eines ordentlichen Verfahrens. Mit den Beitrittsgesprächen habe das nichts zu tun. Doch bei diesem so besonders heiklen EU-Gipfel hat alles mit allem zu tun. Zumindest was die umstrittenen Themen betrifft.
Tauziehen um Budget
Wenn es um die Ukraine geht, stehen nicht nur die Beitrittsgespräche auf dem Spiel, sondern auch rund 50 Milliarden an Hilfsgeldern. Die seien weitgehend sichergestellt, meinten Vertreter mehrerer EU-Staaten. Selbst wenn Ungarn sich hier noch querlegen sollte, werde man eine Lösung finden.
Weit weniger freigiebig sind die EU-Staaten, was jene Milliarden betrifft, die die EU ansonsten an Mehrausgaben von den Mitgliedsländern kassieren möchte. Die EU-Sparmeister, zu denen auch Deutschland und Österreich gehören, hatten darauf beharrt, dass diese Mehrausgaben aus dem jetzigen EU-Budget bestritten werden sollten – mittels „Umschichtungen“ anderer Mittel.
Bosnien-Kompromiss
Österreich beharrte anfangs darauf, dass man nur mit der Ukraine Beitrittsgespräche beginnen könne, wenn man die auch zugleich mit Bosnien beginnt. Jetzt will man im Frühjahr noch einmal alles überprüfen.
Sanktionen
Auch das 12. Sanktionspaket gegen Russland liegt auf dem Verhandlungstisch. Es geht etwa um Diamanten aus Russland. Österreich will das noch nicht abnicken.
50 Milliarden
für die Ukraine wollen die Staaten in jedem Fall auf den Weg bringen.
Kompromiss in Sicht
Stundenlang wurde um diese Milliarden gerungen - und allmählich kam man einander näher. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz etwa machte deutlich, dass es für die großen Brocken kein frisches Geld aus Berlin geben werde, bei kleineren Beträgen aber sei man zu Zugeständnissen bereit.
Österreichs Zahlenspiele
Auch die österreichischen Verhandler waren am Donnerstag mit diesen Zahlenspielen und der Suche nach Kompromissen beschäftigt. Weniger kompromissbereit ist man bei anderen Themen. Das 12. Paket an Sanktionen gegen Russland etwa – es geht um russische Diamanten – wollte man nicht gleich abnicken. Als einziges Land der EU will man das Paket juristisch prüfen. Insider am Rande der Verhandlungen, meinten, die Regierung wolle mit ihrer Blockade, die Raiffeisenbank International (RBI) von einer schwarzen Liste der Ukraine entfernen lassen. Auf dieser wird die RBI als Sponsor des russischen Angriffskrieges angeführt.
Ähnlich widerspenstig war Österreich anfangs auch in Sachen Ukraine-Beitritt. Das Grundprinzip lautete: Mit der Ukraine soll die EU nur dann zu verhandeln beginnen, wenn sie es auch mit jenem Land auf dem Westbalkan tut, das gerade in Sachen EU-Annäherung auf dem Abstellgleis zu landen droht: Bosnien-Herzegowina. Schließlich aber gab man diese Blockade auf - für ein Versprechen des Gipfels. Im kommenden Frühjahr will man überprüfen, ob Bosnien dann bereit ist, für Verhandlungen mit der EU.
"Österreich-Ungarn"
Das zerrissene, von Korruption gezeichnete Land hat nach Ansicht der EU-Kommission die Voraussetzungen für Verhandlungen mit der EU nicht erfüllt. Das gelte aber für die Ukraine ganz genauso, argumentierte Österreich. Es gehe also um den politischen Willen – und der dürfe nicht nur die Ukraine begünstigen.
Das Veto, mit dem Österreich zumindest indirekt gedroht hatte, ist also vom Tisch. Das neue Duo „Österreich-Ungarn“, von dem das Nachrichtenportal "Politico" geschrieben hatte, hat den Weg für Kiew am Ende freigemacht.
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