"Wer streikt heute?" Das hört man Briten in dieser Vorweihnachtszeit immer wieder fragen. Die Antworten reichen von Postlern und Fahrprüfern über Lehrer in Schottland und Zugpersonal bis zu Busfahrern in London.
Tatsächlich ist bis Weihnachten jeder Tag ein Streiktag. An so manchem legen sogar Mitarbeiter aus mehr als einem Sektor die Arbeit nieder, um angesichts hoher Inflation für höhere Löhne zu kämpfen. Insgesamt streiken im Dezember und Jänner laut der Times mehr als eine Million Menschen.
Um da nicht den Überblick zu verlieren, verbringen viele Briten derzeit mehr Zeit mit Streik-Kalendern als mit ihren Adventkalendern. Und so mancher plant weiter voraus als sonst, um Enttäuschungen zu vermeiden. "Der Postler hat gerade eine Weihnachtskarte zugestellt", twitterte etwa Marie schon im November. "Besser Weihnachtspost früh abschicken, um den Streiks zu entgehen."
Reisechaos und Stornos
Diese Woche wird Reise- und Nahverkehr-Chaos erwartet. Einerseits sind nämlich, wieder einmal, diverse Bahnlinien von Arbeitsniederlegungen betroffen. Pubs und Restaurants beklagen da bereits Stornierungsraten von bis zu 30 Prozent bei Weihnachtsfeiern. Am Freitag beginnt außerdem das Bodenpersonal eines privaten Dienstleisters am Heathrow Airport mit einem 72-stündigen Ausstand. Und am gleichen Tag sowie an drei weiteren vor Weihnachten streikt das Sicherheitspersonal des Zugbetreibers Eurostar, der London mit Paris, Brüssel und Amsterdam verbindet.
Diese Woche könnte einen Vorgeschmack auf eine nicht so fröhliche Weihnachtszeit geben. Zeitungen warnen vor "Christmas Chaos" und "Frust an den Festtagen", weil es beim Showdown um Löhne kein Licht am Ende des Tunnels gibt. So drohen Feiertags-Reisepläne vieler Briten ruiniert zu werden. Die größte Eisenbahn-Gewerkschaft will jetzt auch vom Abend des 24. Dezember bis zum 27. morgens streiken. Wer also zum britischen Weihnachtsfest am 25. die Familie besucht, nicht früher wegmuss oder nicht so lange bleiben kann, muss sich um Alternativen umsehen. So mancher wird sich vom Chris Rea-Hit "Driving home for Christmas" inspirieren lassen.
Wer um Weihnachten herum eine Reise ins Ausland plant, muss ebenfalls bangen. Grenzbeamte an Flughäfen planen gerade zwischen 23. und 31.12. acht Streiktage, was laut Medien 30 Prozent aller Flüge gefährden könnte; jetzt werden Soldaten trainiert, um die Auswirkungen zu lindern. "Hunderttausenden werden ihre Weihnachts- und Neujahrspläne ruiniert", warnte die Times.
Wie in den 1970ern
Ein Weihnachtswunder kann auch das überlastete Gesundheitssystem brauchen. Krankenpfleger streiken erstmals in der Geschichte am Donnerstag (15. 12.) und am 20. 12., gefolgt von Mitarbeitern von Ambulanz- und Rettungsdiensten in Wales und fast ganz England am 21. und 28.12. Notfallhilfe soll da auf Leute in größter Gefahr konzentriert werden.
Insgesamt sprechen manche bereits von einem "Winter der Unzufriedenheit", eine Bezeichnung, die 1978/79 berühmt wurde, als Massenstreiks das Land lahmlegten und die Labour-Regierung die folgende Wahl verlor.
Der konservative Premier Rishi Sunak mahnte bisher zu realistischen Verhandlungszielen auf allen Seiten. Aber das Portal Politico ortet zunehmend "Druck auf Minister, zu verhindern, dass das Land zum Stillstand kommt". Sunak warnt Gewerkschaften, er müsse "Leute beschützen". Laut Times überlegt sein Team ein Streikverbot für Polizei und Gefängniswärter auf Rettung und Feuerwehr auszuweiten oder Arbeitsniederlegungen zu erschweren.
Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov zeigen aber, dass mehr Briten die Streikenden unterstützen statt kritisieren. Die Ausnahme: 51 Prozent sind gegen die Zugstreiks über die Feiertage. Die werden nun mit dem Titel eines bekannten Films beschrieben: "Nightmare before Christmas".
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