Polen: Donald Tusk gewinnt Vertrauensabstimmung im Sejm

Polish PM Tusk speaks ahead of confidence vote in Warsaw
Mit Präsident Nawrocki hat Polen einen Rechtskonservativen an seiner Spitze. Regierungschef Tusk stellte die Vertrauensfrage und ließ im polnischen Parlament über seine Zukunft abstimmen.

Am Mittwochnachmittag sprach der Sejm Premierminister Donald Tusk das Vertrauen aus; Die Drei-Parteien-Koalition kann damit weiterregieren. 243 Abgeordnete stimmten für die Regierung, 210 dagegen, 0 enthielten sich. Die Koalitionsparteien unterstützten Tusk, während die lauteste Kritik von den rechten Parteien Konfederacja und PiS kam. PiS-Fraktionschef Mariusz Błaszczak erklärte: „Jeder Tag mit Tusk ist ein schlechter Tag für Polen.“

Die Koalition hielt vorab eine stabile Mehrheit von 242 der 460 Sitze, weshalb der positive Ausgang für Tusk erwartet worden war. Dennoch war die Vertrauensfrage nicht ohne Risiko, bei einem Scheitern hätte Tusk zurücktreten müssen. In seiner Regierungserklärung hatte er vorab um erneutes Vertrauen gebeten. 

Tusk spricht vor halbleerem Plenarsaal

Die Sitzung des Sejm begann gegen 9 Uhr mit einer Rede von Premierminister Donald Tusk vor einem halbleeren Plenarsaal, da die meisten PiS-Abgeordneten fehlten. Ihre Parlamentsbänke glänzten mit Leere. Virtuell waren die abwesenden Abgeordneten dafür umso mehr vertreten. Kanzleramtsminister Marcin Kierwiński kommentierte auf X: „Eine wichtige Debatte im Sejm, und wo sind die Abgeordneten von Recht und Gerechtigkeit? Das zeigt ihre Einstellung zu Polen.“ Tusk nannte das Verhalten „respektlos gegenüber dem Parlament und der Demokratie“.

„Dies ist kein Tag, an dem man lange, blumige Reden erwarten würde“, sagte Tusk und zog eine erste positive Bilanz seiner Regierung. Themen waren Verteidigungsausgaben, Maßnahmen gegen Visa-Missbrauch und Sicherung der Ostgrenze. Er räumte aber auch Kommunikationsmängel ein und kündigte eine Umstrukturierung der Regierung für Juli an, bei der es "neue Gesichter" geben werde. 

Tusk warnte vor den Folgen einer geschwächten Regierung durch Präsident Nawrocki, der Vetos nutzen könnte, um Reformen zu blockieren. Ein Scheitern würde die Rückkehr der PiS sowie eine radikale, rechte Wende bedeuten. Er appellierte an Bevölkerung und Koalitionspartner: „Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen schmälern unsere Verantwortung nicht. (...) Wir haben noch mehr Verantwortung“.

Kritik richtete er gegen die rechte Opposition, insbesondere PiS und Konfederacja.

Zum Abschluss sagte Tusk: „Jeder, der bereit ist, mit mir, der Regierung, ohne Rücksicht auf momentane Emotionen voranzukommen und ein besseres Polen aufzubauen, sollte heute für das Vertrauensvotum stimmen“.

Auf Tusks Rede folgte eine lange Frage- und Diskussionsrunde der Abgeordneten. Tusk verließ vor Beginn der Abstimmung den Saal. 

Verzögerte Abstimmung und hitzige Debatte im Sejm

Die für ursprünglich 14 Uhr angesetzte Abstimmung über das Vertrauensvotum für die Regierung von Donald Tusk verzögerte sich deutlich. Aufgrund von über 250 Wortmeldungen wurde der Beginn mehrfach verschoben. Die rege Diskussionsbereitschaft spiegelte das politische Klima des Saals wider: emotional, polarisiert und von gegenseitigen Vorwürfen geprägt.

Zbigniew Kuźmiuk (PiS) eröffnete die Debatte und kritisierte Tusk; stellvertretend für die rechtskonservative Opposition. Krzysztof Bosak (Konfederacja) bezeichnete Tusks Rede als „lang und langweilig“. Der Ton blieb während der gesamten Debatte konfrontativ.

Parallel zur Debatte im Plenarsaal eskalierte auch die Auseinandersetzung auf der Plattform X (ehemals Twitter). Besonders häufig wurde Tusk dafür angegriffen, nach seiner Regierungserklärung nicht im Saal geblieben zu sein. Der PiS-Abgeordnete Paweł Rychlik warf ihm vor, sich der direkten Konfrontation zu entziehen. Darauf reagierte Elżbieta Gelert (KO) mit einem scharfen Konter an die Opposition: „Und ich wollte fragen, wo du um 9 Uhr morgens warst“, in Anspielung auf das Fernbleiben zahlreicher PiS-Abgeordneter während Tusks Rede.

Tusk selbst zeigte sich kämpferisch. Auf X schrieb er: „Ich kenne kein Wort wie Kapitulation. Wir machen weiter!“

Die Diskussion war langwierig und inhaltlich vielfach redundant. Statt sachlicher Auseinandersetzung dominierten provokative und teils beleidigende Töne. So nannte der Abgeordnete Michał Wójcik (PiS) die amtierende Regierung etwa „Hunnen der polnischen Politik“.

Die Fragerunde endete um kurz vor 16 Uhr. Nach einer fünfminütigen Pause, antwortete Tusk persönlich auf letzte Fragen der Abgeordneten. Er entschuldigte sich für sein Verlassen der Debatte, „die Pflichten" hätten ihn dazu gebracht, aber er habe sich alle 260 Fragen aufgeschrieben.

Trotz heiserer Stimme ging Tusk auf die Fragen ein, griff besonders die Entwicklung der Waffenproduktion nochmal auf. Diese werde dazu führen, dass Polen, was wichtigste Munitionsarten angehe, innerhalb von drei Jahren autark sein sollte, so Tusk. Während dieser zweiten Rede war der Saal weniger ruhig, von den Parlamentsbänken gab es vermehrte Zwischenrufe, gegen halb Fünf kam es zu einem größeren Aufruhr nach einem Seitenhieb Tusks zu PiS. Weitere Themen waren Migration, der Green Deal und verstärkte Grenzkontrollen. 

Warum stellte Donald Tusk die Vertrauensfrage?

Der ehemalige EU-Ratspräsident Donald Tusk führt seit Ende 2023 als polnischer Premierminister eine Mitte-Links-Koalition aus drei Parteien. Als überzeugter Pro-Europäer, Verfechter eines liberalen Abtreibungsrechts und Verteidiger des Rechtsstaats steht er für ein modernes, westlich orientiertes Polen; das Gegenteil des neu gewählten Präsidenten Karol Nawrocki. Hauptziel seiner Regierung ist es, die von der PiS-Regierung zwischen 2015 und 2023 verursachten Schäden am Rechtsstaat rückgängig zu machen. Präsident Andrzej Duda aus der PiS hat entsprechende Gesetzentwürfe bislang blockiert.

Nawrocki, ein parteiloser Historiker und Vertrauter von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, will diesen Kurs offenbar mit noch größerer Härte fortsetzen. Er kündigte „starken Widerstand aus dem Präsidentenpalast“ gegen Tusk an.

Nach Nawrockis Wahlsieg stellte Tusk die Vertrauensfrage im Parlament - kein Rücktrittsdrohungsspiel, sondern ein Signal, dass seine Regierung trotz Präsidentschaftsniederlage weiterhin über eine Mehrheit im Sejm verfügt und die Arbeit fortsetzt.

Wie riskant war die Vertrauensfrage für Tusk?

Trotz knapper Mehrheit war es riskant für Tusk, die Vertrauensfrage zu stellen. Hätte Tusk die Abstimmung verloren, müsste seine Regierung zurücktreten. In diesem Fall könnte Nawrocki einen neuen Regierungschef ernennen und eine regierungsfähige Alternative zur derzeitigen Drei-Parteien-Koalition bilden, etwa durch Berufung eines parteilosen Technokraten oder eines PiS-nahen Politikers.

Wenn Nawrocki keinen Kandidaten mit parlamentarischer Mehrheit durchgesetzt hätte, wäre das Vorschlagsrecht zurück an den Sejm gegangen. Gelänge auch dort keine Einigung innerhalb bestimmter Fristen, könnte es zur Auflösung des Parlaments kommen. Ein anhaltender Patt oder eine gescheiterte Regierungsbildung hätte letztlich in vorgezogenen Neuwahlen münden können. Tusk ging mit der Vertrauensfrage also ein Risiko ein.

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