Digitalisierte Einberufung sorgt bei Russen für Nervosität

„Hallo, ich bin Max, der Roboter“, stellt sich der Chatautomat vor. Die lächelnde blaue Bohne, die in einem futuristischen Anzug schwebt, soll durch das russischen staatliche Serviceportal „Gosuslugi“ führen. Wer hier seine Verkehrsstrafen innert 20 Tagen bezahlt, bekommt 50 Prozent Rabatt. Hier können Unterlagen für Hausbau und -sanierung heruntergeladen werden. Und bald sollen auf dieser Plattform russische Staatsbürger erfahren, ob sie zum Militärdienst einberufen sind.
Am Dienstag passierte ein entsprechender Gesetzesentwurf die russische Staatsduma in zweiter Lesung, dürfte also bald vom russischen Präsidenten Wladimir Putin unterschrieben werden. Künftig gelte eine Vorladung zum Einberufungsamt als übermittelt, wenn sie online im staatlichen Serviceportal auf dem Benutzerkonto des Wehrpflichtigen eingehe, sagte der Chef des Verteidigungsausschusses, Andrej Kartapolow. Bislang musste die Vorladung persönlich überreicht und mit Unterschrift quittiert werden.
Autofahren verboten
Viele Russen entgingen bisher der Einberufung, indem sie nicht an ihrer Meldeanschrift wohnten. Das soll sich nun ändern – und verschärft werden: Wer binnen einer Frist von 20 Tagen nicht auf diese Einberufung reagiert, dem wird das Autofahren, die Aufnahme von Krediten oder der Kauf von Immobilien verboten sowie je nach Region weitere Maßnahmen ergriffen. Wer die Einberufung erhält, darf das Land ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verlassen.
So weit die Theorie. In der Praxis bedeutet diese Änderung, dass jeder männliche, wehrpflichtige Russe sich potenziell strafbar macht, verlässt er das Land. Denn zahlreiche ältere Einberufungen wurden aufgrund logistischer Probleme der russischen Post nicht zugestellt. Kremlsprecher Dmitrij Peskow begründete den neuen Schritt mit der „Notwendigkeit der Digitalisierung“.
Der prorussische Nachrichtenkanal Rybar verwies darauf, dass viele Menschen reflexartig ihre Konten bei den staatlichen Diensten gelöscht hätten, „was die jahrelange Digitalisierungsarbeit der Behörden zurückwirft“.
Die Behörden hätten verabsäumt, den Menschen zu erklären, „warum diese Schritte notwendig seien“. Unter anderem macht sich die Angst breit, dass mit dem neuen Gesetz auch eine erneute Teilmobilmachung in Russland einhergeht.
Dem steht gegenüber, dass die russischen Regionalregierungen erst vor wenigen Wochen den Auftrag erhielten, Bürger zu einer freiwilligen Meldung als Vertragssoldaten zu motivieren. Klar ist aber, dass die Einberufung im Falle einer künftigen Mobilisierung effizienter verliefe und der Kreml versucht, eine Massenflucht wie im vergangenen Herbst – 400.000 Menschen verließen Russland – zu verhindern.
Enthauptungsvideo
Derweil schockierte ein Video, das die Enthauptung eines ukrainischen Kriegsgefangenen durch russische Kämpfer zeigen soll. Wann genau es aufgenommen wurde, ist unklar – Experten gehen aufgrund der Vegetation, die auf dem Video zu sehen ist, von vergangenem Sommer oder Herbst aus. Immer wieder werden seit Kriegsbeginn grausame Videos von russischer wie ukrainischer Seite publik.
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