Friedrich Merz, der Kulturkampf-Kanzler

Inmitten einer ideologischen Migrationsdebatte, die er nicht mehr einfangen kann: Deutschlands Kanzler Friedrich Merz.
Friedrich Merz hat mit einem Satz über deutsche Stadtbilder eine Debatte losgetreten, die er nicht mehr einfangen kann. Migranten und Frauen fühlen sich gleichermaßen beleidigt – ob er die AfD so überflügelt, ist fraglich.

Friedrich Merz ist ein begnadeter Rhetoriker. Seine Reden als junger Abgeordneter katapultierten ihn vor Langem in politische Höhen, seine spitze Zunge als Oppositionschef brachte ihn ins Kanzleramt. Doch manchmal geht es mit ihm durch: Dann kommt ein Satz aus seinem Mund, der sich einfach verselbstständigt.

Das durfte Deutschland schon einige Male erleben. Vor Jahren, als sich der Berliner Bürgermeister outete, sagte er: „Solange der Wowereit sich mir nicht nähert, ist mir das egal.“ Danach machte er Söhne arabischstämmiger Migranten zu „kleinen Paschas“, und Geflüchteten aus der Ukraine unterstellte er Sozialtourismus. Jedes Mal war die Empörung groß, der Erkenntnisgewinn klein.

Jetzt hat Merz erneut die Kontrolle über sein Gesagtes verloren. Bei der CDU-Klausur vor einigen Tagen hätte es eigentlich um die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD gehen sollen, danach blieb aber nur eine Aussage hängen: In der Pressekonferenz sagte Merz, dass es trotz sinkender Asylzahlen „im Stadtbild noch immer dieses Problem“ gebe. Die Nachfrage, was genau er damit meine, schmetterte er ab: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.“

Merz hat sich damit ins Zentrum einer Debatte katapultiert, die nun kein Ende nehmen will. Zunächst bekam er Gegenwind von Migranten, die sich pauschal verunglimpft fühlten, auch die eigene Partei klopfte ihm auf die Finger. „Nebulös“ sei die Aussage, sie nütze nur der AfD, sagte Armin Laschet, Merz’ Vorgänger als CDU-Chef. Und neben den Frauen, die gegen Merz demonstrierten, arbeitete sich der Koalitionspartner an ihm ab: „Ich möchte in einem Land leben, bei dem nicht das Aussehen entscheidet, ob man ins Stadtbild passt oder nicht“, giftete SPD-Chef Lars Klingbeil.

Angstgegner AfD

Der Kanzler selbst ließ all das an sich abperlen. Merz ließ jede Kritik unkommentiert, sagte auf Nachfrage sogar entrüstet, er habe „gar nichts zurückzunehmen“. Auch wenn natürlich nicht alle Migranten gemeint seien, stehe er zu seiner Aussage.

Das passt zu seinem Stil, entschuldigt hat Merz sich noch nie. Und dass ihm der Satz nicht entglitten ist, sondern er bewusst provoziert hat, ist auch unumstritten: Das Anecken gehört seit jeher zu seinem politischen Repertoire, der Kulturkampf liegt ihm ebenso – nicht umsonst meinte er einmal, er würde nur als Mann zu einem Taxifahrer mit Palästinensertuch einsteigen, als Frau natürlich nicht.

Dass Merz auch inhaltlich einen Punkt hat, ist ebenso unbestritten. In Deutschland hat beinahe jeder Dritte Migrationshintergrund, das führt unweigerlich zu Konflikten. Laut Umfrage geben 63 Prozent der Deutschen ihm in seiner Kritik recht. Die Frage ist nur, ob die Zustimmung bleibt, wenn sich das Problem nicht löst. Denn Merz will mit dem Fokus auf Migration ja die AfD kleinkriegen – die hat die Union seit September nämlich erstmals hinter sich gelassen, sie liegt bundesweit auf Platz eins.

Problematisch dabei ist nur, dass die Rechtspopulisten auf dieselbe Methodik setzen wie Merz. Sie lösen gerne Empörungswellen entlang ideologischer Fronten aus, um die Debatte dann einfach laufen und auch mal eskalieren zu lassen. Nur: Antworten muss die AfD keine liefern – das muss Merz.

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