Deutschlands Große Koalition taumelt von einem Desaster ins nächste

Lange Gesichter bei Kanzler Merz (r.) und Vize Klingbeil
In der ohnehin sehr mühsam zusammengezimmerten schwarz-roten Regierung in Deutschland läuft es derzeit alles andere als rund – gelinde gesagt. Zwar versuchen die Protagonisten, Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Vize Lars Klingbeil (SPD), die schweren Zerwürfnisse der jüngsten Zeit herunterzuspielen, doch das gelingt keineswegs.
Der bisher letzte Casus Belli: Merz’ Vorstoß im ARD-„Sommerinterview“, Einschnitte bei Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherung anzugehen. Zunächst hat der Regierungschef dabei das so genannte Bürgergeld im Fokus. Hier schwebt ihm bei der Mietzinsstützung eine Deckelung vor: „Sie haben in den Großstädten heute teilweise bis zu 20 Euro pro Quadratmeter, die sie (die Mieter) vom Sozialamt ... bekommen, das sind bei 100 Quadratmetern schon 2.000 Euro pro Monat“, sagte Merz. Das würde zu Spannungen auf dem Wohnungsmarkt führen. Auch beim Arbeitslosengeld kann sich der Kanzler Reformen vorstellen.
Sein sozialdemokratischer Koalitionspartner hingegen gar nicht. „Leistungskürzungen wird es mit uns nicht geben“, stellte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt, unmissverständlich klar. Und weiter: „Statt das Problem teuren Wohnraums durch mehr Obdachlosigkeit zu lösen, gilt es, ausufernde Mieten mit der Mietzinsbremse zu begrenzen.“

Merz hält weiter zu Jens Spahn, doch der ist angezählt
Womit der Streit in der Regierung prolongiert ist. Dabei wollte Merz mit seiner sozialpolitischen Initiative wohl auch die Dissidenten und rechten Hardliner in seiner eigenen Bundestagsriege befrieden. Denn diese hatten ihm und dem schon schwer angeschlagenen CDU-Fraktionschef Jens Spahn in der Vorwoche die Gefolgschaft verweigert.
Was war passiert? Zwei neue, von der SPD nominierte Höchstrichterinnen und ein von der CDU nominierter Höchstrichter hätten am Freitag mit der Mehrheit der Regierungsparteien durchgewunken werden sollen – an sich ein Formalakt, weil zuvor von Schwarz-Rot paktiert.
Dissidenten in der Union
Doch gegen die Uni-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf bauten sich innerhalb der Union (CDU/CSU) Vorbehalte auf. Sie sei eine „ultra-linke Radikale“, die sich für die Impfpflicht während der Corona-Pandemie eingesetzt habe und Abtreibungen bis kurz vor der Entbindung erlauben wolle – zumindest Letzteres ist explizit falsch.
Dennoch verfing die Meinungsmache. Die Juristin erhielt Morddrohungen. Und als sich im Bundestag unter den Konservativen keine Mehrheit für ihre Bestellung abzeichnete, wurde das Votum kurzerhand von der Tagesordnung genommen.
Juristin wehrt sich
Am Dienstag holte die derart diffamierte Juristin zum Gegenschlag aus. Die Kritik an ihrer Person sei beleidigend und realitätsfern. Wörtlich: "Ordnet man meine wissenschaftlichen Positionen in ihrer Breite politisch ein, zeigt sich ein Bild der demokratischen Mitte", ließ die nominierte Höchstrichterin am Dienstag über ihren Anwalt wissen. Die Zuschreibungen "ultralinks" oder "linksradikal" entbehrten jeder Grundlage.

Selbst der sonst so zurückhaltende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier meldete sich zu Wort
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier konstatierte jedenfalls, dass sich die Koalition „selbst beschädigt“ habe. Und SPD-Fraktionsgeschäftsführer Dirk Wiese bohrte in der offenen Wunde der Union: „Es gibt Dinge, auf die verständigt man sich.“ Er erwarte, dass Zusagen gelten.
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