Woher das Geld kommen soll, hat er nie gesagt. Im Wahlkampf sprach Friedrich Merz zwar stets von dringenden Investitionen, die Deutschland brauche; von der eisernen Sparregel, die seine Unions-Vorgänger ihm und dem Land auferlegt haben, wich er aber nie ab. Neue Schulden? Nicht mit mir, hieß es da.
Zehn Tage nach der Wahl und vier Tage nach Donald Trumps historischer Ukraine-Lehrstunde im Oval Office ist die Welt des Friedrich Merz eine andere. Der CDU-Chef, der gesetzte nächste Kanzler Deutschlands, wird gemeinsam mit der SPD das wohl größte Schuldenpaket in der Geschichte Deutschlands auf den Weg bringen. 500 Milliarden Euro an Krediten werden aufgenommen, um den Investitionsstau bei der Infrastruktur endlich aufzulösen – marode Straßen, Schienen, Schulen sollen damit endlich ins 21. Jahrhundert befördert werden. Dazu soll die starre Schuldenbremse, die ja maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Ampel in die Luft geflogen ist, gelockert werden: Bei Verteidigungsausgaben gelten ab sofort keine Obergrenzen mehr. „Whatever it takes“, sagte Merz.
Die Botschaft kam an
In normalen Zeiten wäre ein solcher Schwenk jedem CDU-Politiker auf den Kopf gefallen, einem künftigen Kanzler sowieso, und die SPD hätte über ihren Sieg gejubelt. Doch die Zeiten sind nicht normal, sie sind so abnormal wie lange nicht: Seit Donald Trump sein ukrainisches Gegenüber vor TV-Kameras zum Schulbuben degradiert hat, ist die Botschaft in allen europäischen Hauptstädten angekommen: Wer nicht so behandelt werden will wie Wolodimir Selenskij, der muss sich aus der militärischen Abhängigkeit von den USA lösen. Und zwar schnell – mittlerweile beklagt nämlich auch das Verteidigungsministerium in Berlin, dass im Pentagon die Ansprechpartner fehlen; allzu oft herrsche nun gefährliche Funkstille.
Dass Friedrich Merz diese zweite, viel größere Zeitenwende im Eiltempo durchdrückt, hat aber nicht nur geopolitische Gründe. Im neuen Bundestag, der sich Ende März konstituiert, haben AfD und Linkspartei eine Sperrminorität, können also sowohl das Sondervermögen als auch die Lockerung der Schuldenbremse verhindern. Und das würden beide wohl auch, weshalb Merz und sein künftiger Koalitionspartner beide Vorhaben noch im alten Bundestag verabschieden wollen. Zwar brauchen sie auch da die Unterstützung der Grünen, da die FDP eine Lockerung der ihr heiligen Schuldenbremse nicht mittragen würde. Die zieren sich zwar derzeit noch, werden aber wohl dem Vernehmen nach mitstimmen – und den künftigen Koalitionären vielleicht noch kleine Zugeständnisse abringen.
Historische Ausmaße
Es wirkt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass damit ausgerechnet zwei der gescheiterten Ampel-Parteien der Union etwas ermöglichen, an dem ihre eigene Koalition zugrunde gegangen ist. Noch schmerzhafter ist, dass Merz, so urteilen fast alle Kommentatoren, damit auch Geschichte schreiben kann: Seine Milliarden werden bereits mit Helmut Kohls Wiedervereinigung oder Helmut Schmidts NATO-Doppelbeschluss mit der Stationierung von US-Atomraketen verglichen – Ereignisse von massiver geopolitischer Tragweite.
Tatsächlich hat allein die Summe historische Ausmaße. Die 500 Milliarden, mit denen auch die Infrastruktur wehrfähig gemacht werden soll – kurz nach Kriegsbeginn zerbrach sich die NATO den Kopf darüber, dass deutsche Brücken und Straßen keinem Panzertransport standhalten –, übersteigen das gesamte Jahresbudget des Bundes. Will Deutschland zudem drei Prozent seines BIP in die eigene Wehrfähigkeit investieren, wächst der jährliche Verteidigungsetat von aktuell gut 50 Milliarden Euro auf künftig mehr als 130. Einen so hohen Anteil am deutschen BIP hat die Verteidigung zuletzt 1970 eingenommen – und da steckte die Welt mitten im Kalten Krieg.
Koppelt sich Europa langsam von den USA ab, wäre das wohl eine riesige tektonische Verschiebung. Und spielt Deutschland dabei eine gewichtige militärische Rolle – und danach sieht es aus – wäre das auch eine Abkehr von der selbstauferlegten militärischen Zurückhaltung der Deutschen, die man seit 1945 behutsam pflegt.
Kommentare