Der Gucci-Kommunismus in Vietnam

50 Jahre Tet-Offensive. Das Land oszilliert zwischen Offenheit und Diktatur, zwischen Fortschritt und Umwelt-Gau

Das heurige Erinnerungsjahr ist auch eines an den Vietnamkrieg. Schreckliche Kriegsbilder, die vor 50 Jahren erstmals über das Fernsehen in die Wohnzimmer kamen, führten den Menschen vor Augen, was passiert, wenn sich der Kalte Krieg entlädt. Der kommunistische Führer Vietnams, Ho Chi Minh, wurde zum Idol der friedensbewegten 68er-Jugend. Rund um den Erdball skandierten Studenten auf Demos seinen Namen.

Auch in Vietnam wird heuer dieses Kriegs gedacht. Der Dong Khoi, die Prachtstraße im quirligen Zentrum von Ho Chi Minh City, ist gesäumt von Schautafeln. Sie erzählen den Passanten vom Kriegsgeschehen. Die Zeitung Vietnam News bringt ein Interview mit jenem Führungsoffizier, der vor fünfzig Jahren das Kommando zum Sturm auf die US-Botschaft in Saigon organisierte.

Denn der Angriff auf die Botschaft brachte die kriegsentscheidende Wendung.

Tet-Offensive

Vor 50 Jahren beschlossen die Kader des kommunistischen Nordens, einen entscheidenden Schlag gegen den US-besetzten Süden zu führen. Als Tet-Offensive ist diese Aktion in die Geschichte eingegangen. Militärisch war die Offensive ein Desaster, der Vietcong wurde von den Amerikanern beinahe ausgelöscht. Dennoch : Gerade in diesem Moment verloren die USA den Krieg. Einige Vietcong waren nämlich in die US-Botschaft in Saigon vorgedrungen. Die medial transportierten Bilder vom zerschossenen Botschaftsgebäude wirkten auf die öffentliche Meinung in den USA wuchtiger als die Erklärungen ihrer Militärs, sie hätten alles im Griff.

Colonel Tran Minh Son, inzwischen 92 Jahre alt, erzählt anlässlich des Gedenkjahres, dass die verdeckt operierenden Vietcong-Kämpfer allesamt Decknamen trugen. Deshalb wisse man bis heute nicht, wer die 15 Kämpfer, die bei dem Sturm auf die US-Botschaft im Frühjahr 1968 starben, tatsächlich waren. „Diese Schuld werde ich ins Grab mitnehmen“, sagt Tran Minh Son.

Das Stadtmuseum von Ho Chi Minh City zeigt das erbärmliche Leben der Guerilla im Dschungel. In Gärten vor öffentlichen Gebäuden ist noch erbeutetes amerikanisches Kriegsgerät ausgestellt.

Abgesehen von solchen Relikten ist das Verhältnis des kommunistisch regierten Vietnam zum Westen mehr als entspannt. Drei US-Präsidenten sind seit Kriegsende zu Besuch gekommen, vor einigen Wochen lief der erste US-Flugzeugträger friedlich in einen vietnamesischen Hafen ein. Auch im Alltag keine Spur von Anti-Amerikanismus: Niemand findet etwas dabei, wenn Kinder auf Spielzeugpanzern mit US-Flagge durch die Fußgängerzone von Hanoi kurven (Foto).

Vietnams „Ostsee“

Die rasche Entspannung zu den USA hat mit der – seit Jahrtausenden genährten – Angst Vietnams vor China zu tun. Bis etwa 1000 war der Norden eine chinesische Provinz, Vietnam musste seine Einheit China abtrotzen. Den bislang letzten Krieg mit dem mächtigen nördlichen Nachbarn galt es – bald nach dem Abzug der Amerikaner – zwischen 1979 und 1981 auszufechten. Wieder mussten 40.000 Vietnamesen sterben. China fiel strafweise über die Nordgrenze ein, weil Vietnam zuvor das Killerregime der Roten Khmer, einen Schützling Pekings, aus Kambodscha verjagt hatte.

Aktuelle Spannungen rühren von Chinas Versuch, sich auf Inseln vor der vietnamesischen Küste festzusetzen, im südchinesischen Meer, welches – aus nachvollziehbaren Gründen – auf vietnamesischen Atlanten in „Ostsee“ umbenannt ist.

Vietnam ist eine kommunistische Parteidiktatur mit kapitalistischem Wirtschaftssystem. Das führt mitunter zu absurden Szenen. Ho Chi Minhs präparierter Leichnam ist im Mausoleum in Hanoi zu besichtigen. Besucher ziehen, von Elitesoldaten zu ehrerbietigem Schweigen angehalten, in Zweierreihen an dem offenen Sarg vorbei. Fotografieren ist untersagt. Im Souvenirshop kann man allerdings Plastikteller mit Ho Chi Minh-Konterfei erwerben (Foto) – ein eher unrühmliches Ende für den kommunistischen Revolutionär.

Oder: Im Zentrum von Ho Chi Minh City säumen Alleen knallroter Fahnen mit Hammer & Sichel-Emblem die Straßen, in den Auslagen daneben glitzern Luxusartikel von Armani, Gucci und Bottega Veneta. Auch US-Symbole wie Starbucks und McDonalds sind präsent.

Vietnam gehört zu den Boomländern in Südostasien. War es vor der Wirtschaftsliberalisierung noch von Hungersnöten geplagt, ernährt es nun nicht nur seine 95 Millionen Bewohner, sondern ist der drittgrößte Reisexporteur der Welt. Zwei bis drei Reisernten im Jahr gehen sich je nach Breitengrad aus. Jeder nutzbare Quadratmeter wird bebaut, zumeist mit Wasserbüffeln und in Handarbeit. Selbst Straßenbankette sind als Gemüsegärten genutzt, Salatbeete säumen die Fahrbahnen.

Verkehrshölle

Es sieht zwar alles sehr grün aus, aber das täuscht. In den Millionenmetropolen gibt es weder U-Bahn noch Straßenbahn, das Hauptverkehrsmittel sind Mopeds, die in x-facher Millionenzahl die Straßen verstopfen und ihre Abgase in die Gesichter der Bewohner blasen, die auf Plastiksesseln auf den Gehsteigen sitzend ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegen.

Protest gegen die Umwelthölle gilt als staatsschädigend und wird in der Diktatur streng geahndet. Ein junger Vietnamese fasste kürzlich vierzehn Jahre Haft aus. Er hatte Protest gegen ein von Konzernabwasser verursachtes Fischsterben organisiert und auf Facebook gepostet.

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