CDU-Kandidat Merz rudert bei individuellem Asylgrundrecht zurück

Der Kampf um die Merkel-Nachfolge an der Parteispitze bekommt mit einer Asyl-Grundsatzdebatte eine neue Dimension.

Im Wettstreit um den CDU-Vorsitz hat der Bewerber Friedrich Merz mit Aussagen zum Grundrecht auf Asyl massive Kritik auf sich gezogen. Mit Ausnahme der AfD wurde Merz am Donnerstag von Vertretern aller Parteien vorgeworfen, das Recht auf Asyl in Deutschland infrage zu stellen. Merz bemühte sich daraufhin, in einer schriftlichen Erklärung die Wogen zu glätten.

Merz sagte am Mittwochabend auf der CDU-Regionalkonferenz in Seebach in Thüringen: "Deutschland ist das einzige Land auf der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in seiner Verfassung stehen hat."

Er sei schon seit "langer Zeit der Meinung, dass wir bereit sein müssten, über dieses Asylgrundrecht offen zu reden, ob es in dieser Form fortbestehen kann, wenn wir ernsthaft eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik wollen."

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn, Konkurrent von Merz im Rennen um den CDU-Vorsitz, hält hingegen eine Debatte über das Asylrecht im Grundgesetz nicht für das Entscheidende. "Im Kern ist das nicht die große Herausforderung bei der Migration", sagte Spahn am Donnerstag MDR AKTUELL. "Das eigentliche Thema ist, wie wir die EU-Außengrenze sichern." Wenn jeder Europa erreichen könne, stimme etwas nicht. Man brauche einen europäischen Grenzschutz, der an der Grenze diejenigen abweise, die keine Flüchtlinge seien.

Kramp-Karrenbauer übt scharfe Kritik

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ging noch weiter. "Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl oder eine Einschränkung in einer Art und Weise, dass es de facto dieses Grundrecht so nicht mehr gibt, wie es auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes sich das überlegt haben, das halte ich mit dem Wesenskern der CDU und im übrigen auch mit dem Erbe etwa von Helmut Kohl für nicht vereinbar“, sagte Kramp-Karrenbauer am Donnerstag in einer Fragerunde auf bild.de.

Am Grundgesetz solle nicht leichtfertig herumgeschraubt werden, zumal es in der Vergangenheit beim Thema Asyl bereits angepasst worden sei, sagte Kramp-Karrenbauer, die ebenso wie Merz und Gesundheitsminister Jens Spahn für den CDU-Vorsitz kandidiert. In einer Zeit, wo lediglich ein Prozent der Flüchtlinge über das deutsche Asylrecht anerkannt werde, müsse vielmehr darüber geredet werden, wie eine konsequente Rückführung von nicht bleibeberechtigten Menschen durchgesetzt werden könne. Deutschland habe seit Jahren in Europa die höchste Quote jener, die nicht konsequent zurückgeführt würden. Hier müssten die Verfahren besser gemacht werden.

Für eine Grundgesetzänderung seien qualifizierte Mehrheiten und entsprechende Partner nötig, sagte Kramp-Karrenbauer - eine dafür nötige Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag dürfte kaum zustande kommen. „Insofern würde ich mich eher auf das konzentrieren, was wir heute tun können.“ Der damalige CDU-Kanzler Helmut Kohl habe 1991 gesagt, jene, die zu einem Kahlschlag beim Asylrecht rieten, könnten dies nicht im Rahmen der CDU tun. Dies sei eine Ermahnung, die die Partei auch heute leiten solle. Dies sei auch ein Unterschied zur AfD.
Merz hatte am Mittwoch im thüringischen Seebach bei der dritten CDU-Regionalkonferenz zur Nachfolge von Angela Merkel als Parteichefin gesagt, Deutschland sei das einzige Land der Welt, das ein Individualrecht auf Asyl in der Verfassung stehen habe. Er sei seit langem der Meinung, dass offen darüber geredet werden müsse, ob dieses Asylgrundrecht „in dieser Form fortbestehen“ könne, wenn eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik gewollt sei.

Merz ruderte zurück

Im Verlauf des Tages ruderte Merz zurück: Er stelle das Grundrecht auf Asyl "selbstverständlich nicht" infrage, teilte er schriftlich mit. "Für mich steht aber fest, dass wir die Themen Einwanderung, Migration und Asyl nur in einem europäischen Kontext lösen können."
 

SPD-Kritik an Merz-Vorstoß

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner sagte dem Tagesspiegel, die Sozialdemokraten kämpften für eine gemeinsame humanitäre Flüchtlingspolitik in Europa."Wenn Herr Merz das zur Begründung heranzieht, um das im Grundgesetz garantierte individuelle Grundrecht auf Asyl infrage zu stellen, verlässt er den demokratischen Grundkonsens."

Außenminister Heiko Maas (SPD kritisierte Merz' Vorstoß ebenfalls: "Dass unser Asylrecht dem Europarecht nicht entgehen steht, ist bereits in Art. 16a Grundgesetz verankert. Rechtspopulisten hinterher zu laufen, führt nur zu einer weiteren Spaltung." SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Für die SPD gibt es beim Grundrecht auf Asyl keinen Redebedarf. Das ist für uns unantastbar."

Applaus von AfD

Die AfD begrüßte die Äußerungen von Merz hingegen. Er freue sich, dass der CDU-Politiker damit eine alte Forderung der AfD aufgreife, sagte Parteichef Alexander Gauland der "Welt".

Zustimmung bekam Merz auch von dem CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber. Merz stelle ja nicht das Grundrecht auf Asyl infrage, sondern das individuelle Grundrecht auf Asyl, sagte Ferber dem RBB-Inforadio. Es sei tatsächlich eine Besonderheit, dass in Deutschland Asylwerber aus sogenannten sicheren Drittstaaten nicht pauschal abgelehnt werden könnten, sondern jeder Fall einzeln geprüft werde.

"Wenn wir zu einer europäischen Lösung kommen, würde es zum Beispiel bedeuten, dass bei einer Drittstaatenregelung keine individuelle Prüfung mehr stattfinden kann", fügte Ferber hinzu. Deshalb habe Merz einen richtigen Punkt getroffen: " Deutschland ist momentan mit der Hinderungsgrund, zu europäischen Lösungen zu kommen, aufgrund dieses individuellen Rechtsschutzes."

 

Die anderen Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linke gingen hart mit Merz ins Gericht. Das Grundrecht auf Asyl sei die Lehre aus den schrecklichen Erfahrungen der Juden, die aus Nazi-Deutschland zu fliehen versuchten sowie aus der Fluchterfahrung von Millionen Deutschen, erklärte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz.

"Das Schaulaufen der Kandidatinnen für den CDU-Vorsitz entwickelt sich zunehmend zum Wettrennen nach rechts außen, um sich die Gunst der CDU-Delegierten zu sichern", sagte Linken-Chefin Katja Kipping der Nachrichtenagentur AFP. Vor den Äußerungen von Merz zum Asylrecht hatte Spahn eine kritische Haltung zum UN-Migrationspakt eingenommen, Kramp-Karrenbauer sprach sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus.

Setzen auf Einwanderungsthemen

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnte die Kandidaten für den CDU-Vorsitz davor, in ihrem Wettbewerb zu stark auf Einwanderungsthemen wie den UNO-Migrationspakt oder eine Abkehr vom Doppelpass zu setzen. "Ich glaube, dass andere Zukunftsherausforderungen für die Menschen eine größere Rolle spielen", sagte Günther der Nachrichtenagentur AFP. Eine klare Positionierung der Kontrahenten begrüßte Günther jedoch.

Die deutsche Organisation Pro Asyl kritisierte indes Merz dafür, dass er das Grundrecht auf Asyl infrage gestellt hat. Die Union dürfe nicht die "Parolen und Zerrbilder der extremen Rechten" übernehmen und damit die Fundamente des Rechtsstaates untergraben, erklärte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günther Burkhardt. Er warf Merz vor, "im Heuhaufen ahnungslos tuend zu zündeln". Rechtspopulisten in Deutschland und in der EU instrumentalisierten Flüchtlinge und das Asylrecht, "um auf Stimmenfang zu gehen".

Spahn und der UN-Migrationspakt

Auf einer Reihe von CDU-Regionalkonferenzen werben derzeit CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, Spahn und der frühere Unionsfraktionschef Merz als Kandidaten für den Parteivorsitz für sich. Spahn stieß zuletzt auch in der eigenen Partei auf Kritik, weil er eine Abstimmung über den UNO-Migrationspakt auf dem CDU-Parteitag im Dezember forderte und eine Verschiebung der Annahme des Abkommens durch Deutschland vorschlug. Kramp-Karrenbauer kündigte ihrerseits an, die Regelung für die doppelte Staatsbürgerschaft kippen zu wollen, wenn sie zur neuen CDU-Chefin gewählt wird.

Die CDU dürfe sich nicht die Agenda vorschreiben lassen von anderen, die glaubten, dass allein Einwanderungsthemen die Bevölkerung interessierten, sagte Günther. Für die Menschen seien andere Fragen wichtiger: "Dazu gehören der Fachkräftemangel, die Folgen der Digitalisierung für Deutschland, die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme oder eine vernünftige Versorgung in der Pflege", zeigte sich der schleswig-holsteinische Regierungschef überzeugt.

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