Die alternative Alice
Es gibt nicht nur die eine Alice Weidel. Es gibt viele Versionen von jener Frau, die die AfD am Sonntag zur zweitstärksten Partei Deutschlands machte. Da ist Alice, die Parteichefin, die „Kanzlerin der Herzen“, wie Wahlplakate suggerieren, die am Wahltag im TV-Studio steht, freundlich lächelt, und, man glaubt es kaum, den anderen gratuliert. Da ist Alice, die gelangweilt im Bundestag sitzt, ihre Verachtung soll jeder spüren. „Ich zähle mich nicht zur politischen Klasse“, sagte sie mal, „ich bin die typische Wutbürgerin.“ Die ist sie auch auf der Bühne, da wird sie mitunter laut, vor allem wenn es um die „Illegalen“ und die „Messermörder“ geht; meist steht sie dann vor einem Meer aus Deutschlandfahnen, aus dem es „abschieben, abschieben, abschieben“ hallt.
Und dann gibt es die Alice aus dem Auto. Mit Sonnenbrille, das Haar nicht ganz so streng wie sonst, tanzend, voll Freude. Und mit ihrer Frau an ihrer Seite, deren Wurzeln in Sri Lanka liegen, mit der sie zwei Söhne hat, in der Schweiz.
Welche Version ist echt?
Darüber rätselt Deutschland schon lange, seit ihrem Wahlsieg noch mehr. Alice Weidel, 1979 geboren im erzkatholischen Harsewinkel in NRW, der Vater ist Möbelhändler, die Mutter Hausfrau. Sie studiert Ökonomie, Doktorat magna cum laude, arbeitet bei Branchengiganten wie Goldman Sachs und Credit Suisse, lebt in Japan, China, spricht fließend Mandarin. Sagt sie zumindest.
Lille, so nannte man sie damals, hat immer wieder Lücken im Lebenslauf, auf Nachfragen antwortet sie barsch. Genauso reagiert sie, wenn es um ihre Familie geht, oder ihren Wohnort in der Schweiz.
„Das war für einige Leute in der Partei schwierig“, sagte ihr Mentor Alexander Gauland einmal dazu, eine Frau, mit einer anderen Frau verheiratet, dann auch noch mit einer dunkelhäutigen, das passt nicht zur deutschen DNA der Partei. Wie sie diesen Spagat überwindet, darüber spricht Weidel nicht, ihre Frau schweigt sowieso. Sarah Bossard ist Filmemacherin, auf Instagram sieht man sie in angesagten Berliner Clubs auflegen. In einer anderen Welt wären die beiden eine Regenbogenfamilie, in der AfD existieren sie nicht. Die will die Homo-Ehe weiterhin verbieten.
Selbstverharmlosung
In der Partei gibt es manche, die das stört, sie nennen Weidel „Eisprinzessin“, weil alles an ihr abperlt. Laut sind sie aber nicht, müssen sie auch nicht, angesichts der 21 Prozent und des Rückenwindes von überall her, sogar von Elon Musk. Weidel hat es in nur zwei Jahren an die Parteispitze geschafft, ihr wird auch das Kanzleramt zugetraut.
Als am Sonntag das Wahlergebnis bekannt gegeben wird, steht sie in Berlin neben Björn Höcke, die beiden klatschen im Rhythmus. 2017 wollte Weidel ihn aus der Partei werfen, wegen ständiger Nazi-Anstreifer. Mittlerweile sind sie vertraut, alles vergessen und vergeben, Höcke hat in Thüringen knapp 40 Prozent gemacht. Ihr selbst rufen die Fans „Alice für Deutschland“ zu, das klingt wie „Alles für Deutschland“, eine der SS-Parolen, wegen der Höcke schon vor Gericht stand.
Ob Weidel das aus Opportunismus macht oder aus Überzeugung, weiß niemand. Fragen kann man sie an diesem Sonntag nicht, nach dem kurzen Abstecher zur Wahlparty ist sie auch schon wieder weg. Und lächelt in die TV-Kameras.
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