Brexit: Erste Attacken auf Parlamentarier

Wut vieler Bürger richtet sich gegen Abgeordnete. Beleidigungen und erste Handgreiflichkeiten

Es sind simple Maßnahmen, wie sie Eltern gerne ihren Teenagern abends mit auf den Weg geben: Lieber ein Taxi nehmen als öffentliche Verkehrsmittel, am besten gemeinsam nach Hause fahren. Doch diesmal richten sich die Ratschläge nicht an Kinder, sondern an Abgeordnete des Londoner Unterhauses. Lindsay Hoyle, Vize-Sprecher des Parlaments, hat sie in einem offiziellen Schreiben an ihre Kollegen verschickt. Auch der Polizei, schreibt die Politikerin der oppositionellen Labour-Partei, „wurde klar gemacht, dass sie garantieren muss, dass Parlamentsabgeordnete im Unterhaus ohne Angst abstimmen dürfen“.

„London lahmlegen“

Tatsächlich ist ein Labour-Abgeordneter vor wenigen Tagen auf der Straße attackiert worden, als er in seinem Heimatbezirk im Küstenort Brighton mit Bürgern über den Brexit diskutierte. „Verräter“ habe ihn ein Mann genannt, ihn angebrüllt, dass er „den Willen der Bürger“ ignoriere, und danach versucht, ihm ins Gesicht zu schlagen und seine Brille herunterzureißen.

Abgeordnete der konservativen Partei berichten vorerst von schriftlichen Drohungen in eMails oder persönlichen Briefen. Die Schreiber kündigen darin etwa an, „das verdammte London lahmzulegen“.

Tatsächlich passieren könnte das schon heute, Samstag. Bürgerbewegungen haben zu einem Protestmarsch aufgerufen. Noch einmal, sechs Tage vor dem offiziellen Datum für den EU-Austritt, will man eine neuerliche Volksabstimmung fordern.

700.000 Menschen versammelten sich schon bei der letzten derartigen Demonstration im vergangenen Oktober. Aufgrund der Dramatik der Situation erwarten sich die Veranstalter diesmal noch deutlich mehr Teilnehmer. Die Polizei bereitet sich auf mögliche Ausschreitungen vor.

Einfach erklärt: Woran es beim Brexit hakt

Mitverantwortlich für die wachsende Wut der Bürger auf Parlamentarier machen viele von diesen auch Premierministerin Theresa May. Die hatte sich bei einem Auftritt vor wenigen Tagen „auf die Seite der Bürger“ gestellt und die Arbeit der Parlamentarier als „politische Spielchen“ bezeichnet, mit denen die Bürger, aber auch sie „rasch die Geduld verlieren“.

In Großbritannien, wo man Politik normalerweise wie alles andere mit Humor nimmt, sei die Stimmung explosiv wie lange nicht, macht Labour-Abgeordneter Hoyle deutlich: „Ich habe in meiner Zeit im Unterhaus noch nie solche Spannungen erlebt.“

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