Bolsonaro-Urteil stürzt Brasilien in Jubel und Unbehagen

aus Buenos Aires Tobias Käufer
Am Ende ging es schneller als erwartet: Der Oberste Gerichtshof in Brasilien fällte bereits am späten Donnerstagabend das Urteil im weltweit beachteten Prozess gegen den rechtspopulistischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro: 27 Jahre Haft wegen versuchten Putschversuches. In den sozialen Netzwerken entluden sich anschließend die Emotionen. Anhänger des amtierenden linksgerichteten Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva ließen in spontanen Videoclips vor Freude die Sektkorken knallen, die "Bolsonaristas" vergossen Tränen des Zorns. Schon am vergangenen Wochenende waren Hunderttausende auf die Straße gegangen, um für und gegen Bolsonaro zu demonstrieren.
Damit geht einer der spektakulärsten politischen Prozesse der letzten Jahre in Lateinamerika zu Ende. Die Justiz warf Bolsonaro vor, er habe einen Staatsstreich geplant. Die Mehrheit der fünf Richter des Obersten Gerichts (STF) interpretierten die vorliegenden Indizien, Videos und Aussagen als einen versuchten Putschversuch. Bei den Wahlen 2022 hatte der amtierende Rechtspopulist nur hauchdünn gegen Lula da Silva verloren. Den Wahlsieg Lulas erkannte er nie vollumfassend an, im Jänner 2023 kam es nach dem Amtsantritt von Lula da Silva in Brasilia zu schweren Ausschreitungen von Bolsonaro-Anhängern. Die randalierten im Regierungsviertel und forderten vom Militärs ein Eingreifen. Der damals in den USA weilende Bolsonaro verfolgte die Randale schweigend und tolerierte sie damit zumindest.

Ausschreitungen von Bolsonaro-Anhängern im Regierungsviertel nach der Wahl im Jänner 2023.
Politisiertes Gericht
Das Urteil gegen Bolsonaro ist nicht unumstritten. Denn an der Spitze der Ermittlungsbehörden und der Justiz stehen inzwischen überwiegend Gefolgsleute Lula da Silvas. Der platzierte mit seinem ehemaligen Anwalt Cristiano Zanini und seinem ehemaligen Justizminister Flávio Dino gleich zwei enge Vertraute in der höchsten juristischen Instanz. Vier der fünf Richter wurden während der Amtszeit der linken PT ausgewählt. Die Lula-Gefolgsleute hatten nun die Macht darüber zu entscheiden, was mit dessen größten Rivalen für die anstehenden Präsidentschaftswahlen 2026 geschieht.
Mit 4:1 entschied eine Mehrheit der Richter de facto das Ende der politischen Laufbahn Bolsonaros, der jüngsten Umfragen zu Folge durchaus Chancen gehabt hätte, Lula da Silva beim Urnengang 2026 zu bezwingen. Stattdessen ist die prominenteste Führungsfigur der rechten Opposition nun endgültig vom Wahlzettel genommen.

Bolsonaro-Gegner feiern das Urteil.
Rückendeckung von Trump
Der Fall hat auch eine internationale Ebene: US-Präsident Donald Trump stellte sich während des Prozesses hinter Bolsonaro und warf der brasilianischen Justiz vor, eine "Hexenjagd" gegen seinen ideologischen Verbündeten zu veranstalten. Zudem sei mit dem Vorgehen der Justiz gegen die Opposition die Meinungsfreiheit in Gefahr. US-Außenminister Marco Rubio kündigte eine "angemessene Reaktion" an. Washington hatte bereits Strafzölle gegen Brasilien verhängt, und schloss sogar militärische Optionen nicht mehr aus. Die Opposition wirft Lula da Silva vor, Korruptionsermittlungen gegen das eigene Lager durch die Justiz zu unterbinden, gleichzeitig aber gegen die Opposition vorzugehen.
"Es ist seine Arroganz, dass er nicht will, dass die brasilianische Justiz jemanden verurteilt, der ein Verbrechen begangen hat. Der Präsident eines Landes darf sich nicht in die Entscheidungen eines anderen souveränen Landes einmischen", sagte Lula da Silva am Abend in Richtung Trump. Das Bolsonaro-Lager bezeichnete Lula da Silva als Vaterlandsverräter. Allerdings hatte sich auch Lula da Silva jüngst wiederum selbst in Prozesse in anderen lateinamerikanischen Ländern wie Argentinien oder Peru eingemischt.
Bolsonaro in Hausarrest
Damit scheint Bolsonaros politische Karriere beendet. Derzeit befindet sich der Ex-Präsident in Hausarrest. Bereits vor der rechtskräftigen Verurteilung hatte das Oberste Gericht angeordnet, dass Bolsonaro seine Meinung zum Prozess nicht mehr öffentlich via soziale Netzwerke äußern dürfe. Im Kongress läuft eine Initiative für eine Amnestie, die allerdings vor dem Obersten Gericht kaum Bestand haben dürfte.
Als Favorit auf die Präsidentschaftskandidatur im rechten Lager gilt nun Tarcísio de Freitas. Der konservative Gouverneur des bevölkerungsreichen Bundesstaates Sao Paulo hat allerdings nur noch ein Jahr Zeit, sich im Rest des Landes nachhaltig bekannt zu machen. Er sprach von einem "ungerechten Urteilt", vermied aber den Obersten Gerichtshof und dessen Richter namentlich zu nennen. Zudem droht ein interner Machtkampf mit dem verbliebenen Bolsonaro-Clan, der sein großes Alpha-Tier verloren hat.

Jair Bolsonaro.
Gespaltenes Land
In der brasilianischen Bevölkerung ist die Stimmung gepalten. Während das linke Brasilien das Urteil herbeigesehnt hat, ist das rechte Brasilien wütend. Die Mitte der Gesellschaft begrüßt die Entscheidung, allerdings wünscht sich laut Umfrage eine Mehrheit der Brasilianer auch, dass Lula da Silva nicht mehr erneut antritt und damit den Weg für einen Neufang freimacht. Derzeit sind laut Umfragen mehr Brasilianer mit Lulas Amtsführung unzufrieden als zufrieden.
Der amtierende Präsident, der im Oktober 80 Jahre alt wird, erklärte, dass nur gesundheitliche Probleme eine erneute Kandidatur ausschließen. Seine Chancen auf eine Wiederwahl stehen nun ausgezeichnet. Der größte Rivale ist vom Wahlzettel genommen, mit China und Russland hat Lula da Silva inzwischen so enge Bande geknüpft, dass er Washington nicht mehr braucht. Nicht wenige Brasilianer empfinden zwar Genugtuung wegen des Urteils gegen Bolsonaro, allerdings bei der Dominanz der PT in Justiz, Ermittlungsbehörden und in den größten Medienkonzernen auch ein immer größeres Unbehagen.
Kommentare