Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens
Wie hat man Frieden, wenn etwas nicht stimmt? Weil das Kind Krebs hat. Weil da eine Mauer steht. Auf der Suche in Bethlehem

Ein friedliches Fest! Was man sich in Österreich als Wunsch heute wie nebenbei zuwirft, ist in Bethlehem ein großes Wort. Die Stadt, die Weihnachten als historische Vorlage dient, liegt weniger idyllisch, als man sich das vorstellen mag – direkt an der Mauer, die Israel aus Gründen der eigenen Sicherheit zum palästinensischen Westjordanland errichtet hat. Diese Mauer ist erdrückend hoch, erdrückend hässlich und erdrückend gefährlich, fast alle Unruhen und alle Toten der vergangenen fünfzehn Jahre geschahen an der Mauer und ihren Checkpoints.

Grüße aus Bethlehem

Nur ein paar hundert Meter entfernt ist Bethlehem ein spirituelles Disneyland. Streift man durch die Pilgermassen aus Kolumbien, Korea und Tadschikistan, schaut man auf den religiösen Kitsch, den Händler unter dem Schwur der „Handarbeit“ anbieten, fragt man sich schnell, was Frieden genau ist. Hier, wo Friede zu allererst eine politische Dimension hat, ziehen sich Menschen auf Familie, respektvollen Umgang und eine Zukunft zurück, wenn man sie danach fragt.

Friede ist vielfältig.

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

In der Grotte der Geburtskirche

Von der Mauer oder der heiligen Geburtskirche zur Huda Al Masri Pediatric Cancer-Station im Spital ist es nicht weit. Man könnte sagen „nur einen Steinwurf“, aber das sagt man an einem Ort nicht, an dem schon Kinder für das Steinewerfen (auf die Mauer) erschossen wurden. Auf die Station kommen zweimal pro Woche die Clowns der Roten Nasen, um krebskranken Kindern gute Momente zu bescheren.

Dr. Mohammed Najajrah leitet die Abteilung und ist ihnen dafür dankbar und blödelt mit, wenn sie da sind. Auf die Frage, wie es hier in dieser Stadt und speziell an diesem Ort überhaupt Frieden geben kann, hat er eine klare Antwort: „Zuerst sagen wir den Eltern der Kinder alles ganz klar, Diagnose bis Typ der Krebsart. Und dann sagen wir ihnen, dass die Überlebensraten im Schnitt bei über 80 Prozent liegen, manchmal sogar weit über 90 Prozent. Es ist eine starke Krankheit, aber wir haben auch eine starke Behandlung. Dann werden die Eltern ruhiger.“ Friede liegt auch in Statistiken, die einem Hoffnung geben.

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

"Dr. Zaatar" mit Kinderkrebs-Patient Abdullah und Familie

Aber auf so einer Station gibt es auch Momente der Verzweiflung. Obwohl die Ausstattung perfekt ist, dank der Hilfsgelder aus den USA und der Zusammenarbeit mit dem palästinensischen Gesundheitsministerium auch nie Medikamente fehlen, ist manches einfach traurig für die vier Ärzte und zwölf Krankenschwestern. „Wir haben in fünf Jahren über 600 Patienten diagnostiziert und behandelt“, sagt Najajrah und wird stiller: „Wir haben aber in den letzten Jahren auch 25 Kinder aus dem Gazastreifen behandelt, die zwar durch Israel zu uns kommen durften, aber alle ohne Eltern.“ Die erhielten keine Genehmigung. „Diese Kinder weinen meist den ganzen Tag.“

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

Krippenkitsch in Bethlehem (Manger Square)

Am schlimmsten sei gewesen, als der einzig verfügbare Spender für Knochenmark der Vater eines Kindes gewesen sei. Er bekam keine Erlaubnis. „Manchmal leide ich mit ihnen, manchmal weine ich mit ihnen, aber insgesamt können wir hier vielen Menschen helfen, viele Kinder retten. Wir müssen stark sein für sie.“ Die Besuche der Clowns würden dabei viel helfen. Den Kindern, den Eltern und ihnen selbst. Friede liegt auch im Lachen.

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

Beten und Bitten

Am Manger Square – dem Platz, an dem Geburtskirche, Moschee, eine Riesenkrippe und ein plink-plink-Weihnachtsmarkt im US-Stil nebeneinander existieren – parken Tourbusse, auf denen „Peaceland Travel“ oder „Holyland Travel“ oder „Holy Star-Tours“ steht. Sie kommen über die breite Straße, in der schrill beleuchtete Geschäfte aufblasbare Weihnachtsmänner und kitschige Devotionalien verkaufen.

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

Pilger gehen durch die Demutspforte, die nur angeblich wegen der obligaten Verneigung niedrig ist (eigentlich wollte man so die Tiere draußen halten), drängen sich in der Grotte, bestaunen den Stern am Boden, ergattern ein Selfie, rein raus, zehn Minuten Heiligkeit. Man fasst kaum, dass hier begonnen hat, was unser christliches Abendland zu bieten hat. Auch wenn die Herbergssuche nirgends besser hinpasst als an den Ort, an dem sich seit den Israel-Kriegen die Hälfte der Leute „Flüchtling“ nennt.

So sieht es in der Geburtskiche aus

Der Friede liegt hier im Alltag, wenn Menschen in der fröhlichen Art des Nahen Ostens Tee trinken, lachen und leben. Wie im Altenheim von Jericho. Keiner der 61 Bewohner hatte es leicht. Im Islam gilt die Pflege der Alten als religiöse Pflicht, und wer hier gelandet ist, lebte davor ohne Familie auf der Straße. Es ist das einzige öffentliche Altenheim im gesamten Westjordanland, erklärt der Direktor und führt den Besuch in einen Innenhof.

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

Bewohnerin im Altersheim Jericho mit KURIER-Besuch

Die Alten sitzen im Kreis, viele im Rollstuhl und jubeln, als der fremde Besuch kommt. Gerade warfen sie sich noch Bälle zu, jetzt können sie kaum erwarten, dass die Box eingeschaltet wird und sie die Gäste über das Mikro begrüßen können. Sie singen ihre alten Lieblingslieder, die Stimmung ist infantil wie auf einem Kindergeburtstag, aber dementsprechend lachen alle.

Die Roten Nasen im Altersheim und auf der Kinderkrebsstation

Die Rote Nasen-Clownin Mays Assi treibt als Dr. Nukta mit ihrem Kollegen die Stimmung auf die Spitze. Die Alten tanzen am Stock, sie johlen stimmlos. Sie strahlen mit winzigen Lächeln ein großes Glück aus, das man in solchen Einrichtungen nicht erwarten würde. Wieder in Zivil erklärt die Clownin später, dass hier für sie Frieden herrscht. „Und in der Umarmung der Mutter.“ Ihre eigene ist vor kurzem gestorben. „Wenn du ihre Wange an deiner spürst. Das ist Friede.“

Frohe Weihnachten.

Bethlehem: Die Sorgen in der Quelle des Friedens

Manger Square, Bethlehem

Kommentare