Armenien: Hass und Morddrohungen nach historischer Rede

Lilit Martirosyan vor dem armenischen Parlament am 8. April 2019
Transgender-Aktivistin sprach vor dem armenischen Parlament gegen Diskriminierung. "Verbrennt sie", fordern Abgeordnete.

Im März wurde in Armenien einem Menschen in seiner eigenen vier Wänden in den Hals gestochen, seine Wohnung in Brand gesetzt. Es ist nur ein Fall von Gewalt gegen Transgender Personen in Armenien. 283 Fälle sind Lilit Martirosyan bekannt.

Die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Right Side ist selbst Transgender Frau - die erste offiziell in Armenien registrierte. Vor Kurzem ist sie untergetaucht. Denn auch sie erhielt Morddrohungen, nachdem sie am 8. April vor den armenischen Abgeordneten eine historische Rede gehalten hatte.

„Ich spreche hier nicht für mich“, hatte Lilit Martirosyan vor den Parlament gesagt. „Ich repräsentiere heute gefolterte, vergewaltigte, verbrannte, erstochene, getötete, vertriebene, diskriminierte, arme und arbeitslose Transsexuelle Armenier.“ In sozialen, medizinischen, juristischen und wirtschaftlichen Bereichen werden Mitglieder der Minderheit benachteiligt, erklärte Martirosyan nüchtern. Erschreckender noch als die Zahl der Fälle von Gewalt gegen Transgender Personen sei, dass die Polizei den meisten davon nicht nachgehe.

Lilit Martirosyan war die erste Transgender Person, die im armenischen Parlament gesprochen hat. Drei Minuten erzählte die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation „Right Side“ über Diskriminierung und Angst Homosexueller, Transgender und intersexueller Menschen in Armenien – und forderte die Politik auf, die Menschen zu schützen: „Wir versprechen, Sie dabei zu unterstützen, Demokratie in unserem Heimatland aufzubauen.“

LGBT (Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) ist in Armenien quasi ein Fremdwort. Sich einzusetzen für lesbische, schwule, bisexuelle, Transgender- und intersexuelle Personen wird oft nicht gutgeheißen. Homosexualität ist hier seit 2003 nicht mehr strafbar. Antidiskriminierungsgesetze zum Schutz der sexuellen Orientierung gibt es allerdings nicht. Ebensowenig wie gleichgeschlechtliche Ehen oder eingetragene Partnerschaften. Laut einer Studie der Menschenrechtsorganisation Pink Armenia, die sich mit dem Thema auseinandersetzt, wollen viele Homosexuelle aus Armenien auswandern.

 

„Niemand verletzt Ihre Rechte“, rief Naira Zohrabian, Parteivorsitzendende von Blühendes Armenien, nach der Rede von Lilit Martirosyan wütend vom Pult. „Aber Sie verletzen unsere Agenda.“ Sie qualifiziere den Auftritt als „respektlose Attitüde“ gegenüber den Vorsitzenden. Sie muss noch lauter sprechen, als die Abgeordneten ihr Beifall klatschen. Die Menschenrechtsaktivistin wurde aus dem Saal begleitet.

Die wütenden Rufe einiger Abgeordneten hallten noch nach. Doch es kam viel schlimmer. Regierung und Opposition geben einander gegenseitig die Schuld, die Rede überhaupt zugelassen zu haben. Vor dem Parlament gab es mehrere Demonstrationen gegen Martirosyan und ihre Forderungen, Abgeordnete werden nicht müde die Rede zu verdammen und die Aktivistin zu beschimpfen. Einige ließen sich zu Morddrohungen hinreißen: Sie solle lebendig verbrannt werden.

Armenien: Hass und Morddrohungen nach historischer Rede

Martirosyan erzählt dem Guardian, dass sie via Facebook Morddrohungen erreicht haben. "Sie würden mich finden und töten, schrieben sie." Mehrere private Adressen von Aktivisten ihrer NGO sollen verbreitet worden sein, vor Martirosyans Haus versammelten sich Nationalisten mit armenischen Flaggen.

Die UNO und die EU verurteilten die Attacken gegen Lilit Martirosyan und ihre Kollegen. Der KURIER konnte die Aktivistin zunächst nicht erreichen, da sowohl Telefon, als auch eMail nicht funktionierten und die Facebook-Seite offline war.

 

 

Kommentare