Drohende Wahlschlappe in Argentinien: Wird Mileis Experiment scheitern?
Sie singen es in der U-Bahn von Buenos Aires, in TV-Studios, und sogar im Kongress haben es Abgeordnete schon angestimmt: "Karina, es alta Coimera" ("Karina, die Oberkorrupte“), gesungen im Rhythmus des kubanischen Klassikers Guantanamera, ist Argentiniens Hit der Stunde.
Gemeint ist Karina Milei, die Schwester von Präsident Javier Milei und Generalsekretärin seiner Regierung. Sie steht im Zentrum eines Korruptionsskandals: Ihr wird vorgeworfen, Gelder für Menschen mit Behinderung in die eigene Tasche gesteckt zu haben.
Dass der Spottgesang inzwischen im ganzen Land zu hören ist, zeigt, wie schlecht es um den Ruf des Präsidenten und seiner engsten Vertrauten inzwischen bestellt ist - und das zum wohl schlechtesten Zeitpunkt. Am heutigen Sonntag finden in Argentinien nämlich Zwischenwahlen zum Kongress statt. Teile beider Parlamentskammern werden neu gewählt. Für Milei und seine ultralibertäre Partei La Libertad Avanza (LLA), die bislang nur über eine Minderheit der Sitze verfügt, wäre die Wahl eigentlich die wichtigste Chance, ihre Machtbasis auszubauen.
Vor Anhängern ließ sich Milei bei seiner Buchpräsentation wie ein Rockstar feiern, doch die Zustimmung für ihn ist gewaltig gesunken.
Wirtschaftlich ging es bergauf für Argentinien
Lange sah es so aus, als könnte Milei das gelingen. Denn der selbsternannte Anarchokapitalist, der den Staat mit der Kettensäge bekämpft, konnte im zweiten Jahr seiner Amtszeit durchaus Erfolge vorweisen. Durch seine radikale Schocktherapie (u. a. massiver Abbau von Sozialleistungen, Massenentlassungen) glich er das hohe Haushaltsdefizit aus und bremste die Hyperinflation.
Nach einer Rezession im Jahr 2024, in der viele Arbeitsplätze verloren gingen, wuchs die Wirtschaft zu Jahresbeginn. Für 2025 lagen die Prognosen teilweise bei 5,5 Prozent Wachstum. Viele Argentinier waren nach den Jahren der Krise wieder zuversichtlich, sagt Susanne Käss, Leiterin des Auslandsbüros Argentinien der Konrad-Adenauer-Stiftung. Noch Ende Mai belohnten die Wähler Milei mit einem Sieg bei den Wahlen zum Stadtparlament in Buenos Aires.
Wahlpflicht: Rund 34 Millionen Argentinier wählen am heutigen Sonntag 127 der 257 Abgeordneten und 24 der 72 Senatoren neu. Für Bürger zwischen 18 und 70 Jahren gilt eine Wahlpflicht.
Wenige Abgeordnete: Die peronistische Oppositionsbewegung ist stärkste Einzelkraft in beiden Kammern. Mileis LLA stellte bisher nur 38 Abgeordnete und sechs Senatoren.
Konsum ist eingebrochen
Doch dann, als international bereits Loblieder auf das Wirtschaftsgenie Milei angestimmt wurden, begann die Stimmung zu kippen. Das hat mehrere Gründe, so Käss: Die Wirtschaft begann erneut zu schwächeln. Die (v.a. durch beschäftigungsarme Sektoren getriebenen) Wachstumsraten wurden nach unten korrigiert. Der Konsum brach ein, der Exportsektor liegt wegen des überbewerteten Peso ohnehin brach. Die Finanzmärkte wurden unruhig; die USA mussten dreimal einspringen, um eine Wechselkurskrise zu verhindern. Das Länderrisiko ist gestiegen. "Es hat sich gezeigt, dass Mileis Fixierung auf Makroökonomie und auf nur auf zwei Faktoren (Inflationsbekämpfung, Haushaltsanierung, Anm.) einem Land wie Argentinien nicht gerecht wird."
In der Bevölkerung gingen vielen die Einschnitte bei Pensionen und Universitäten zu weit. "Im Stadtbild hat man immer mehr Rentner gesehen, die im Müll nach Brauchbarem suchen. Das hat es früher in Argentinien nicht gegeben. Da sagten viele Menschen, die dem Projekt positiv gegenüber standen: Das ist nicht gut, was in unserem Land passiert." Und dann sind da natürlich noch die sich häufenden Korruptionsvorwürfe im Umfeld Mileis: "Vorgängerregierungen hätte man das vielleicht verziehen - aber ihm nicht."
Protestplakat: Karina Milei, "gesucht wegen Diebstahls von drei Prozent von Behinderten“
Wie wird die Wahl ausgehen?
Die erste Abrechnung kam Anfang September: Milei erlitt bei den Regionalwahlen in der Provinz Buenos Aires eine überraschende Wahlschlappe gegen die linken Peronisten. Heute könnte sich das wiederholen. Mileis erklärtes Ziel, in allen Provinzen stärkste Kraft zu werden, scheint laut aktuellen Umfragen außer Reichweite. Auch wenn er seine Kernwählerschaft – vor allem junge Männer – wohl weitgehend halten kann, dürften sich moderatere Wähler abwenden.
Geplante Reformen könnten damit scheitern. Wirtschaftlich drohen turbulente Zeiten. Ein Vorgeschmack kam zuletzt ausgerechnet aus Washington. US-Präsident Donald Trump, der seinem Freund Milei eigentlich mit einem gewaltigen 20-Milliarden-Dollar-Währungstausch aus der Patsche helfen will, knüpfte seine Unterstützung an einen Wahlsieg; die Märkte kamen ins Trudeln.
"Da hat er Milei wirklich einen Bärendienst erwiesen“, so Expertin Käss. Denn: "Die allermeisten Menschen in Argentinien fällen ihre Wahlentscheidung vor allem aufgrund wirtschaftlicher Kriterien. Unruhige Märkte sind für den selbsternannten Stabilitätspapst ein großes Problem. Zudem verbitten sich die Argentinier die Einmischung von außen in die Wahlen."
Kommentare