Abwanderungsproblem: Italien laufen die Italiener weg

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Die Zahl der Italiener schrumpft zunehmend. Nicht nur wegen des Geburtenschwunds, sondern auch weil immer mehr Menschen wegziehen.

Von Andrea Affaticati aus Mailand

Selbst zu Tech-Milliardär und Giorgia-Meloni-Fan Elon Musk ist der Ernst der Lage durchgedrungen: "Italien verschwindet“, beklagt der Vater von 14 Kindern auf X. Darunter das Bild einer italienischen Flagge und einer Stadt in Brand.

Die italienische Regierung spricht ungern über dieses Problem, lobt lieber die Arbeitslosigkeit, die auf sechs Prozent geschrumpft ist. Seltener wird hinzugefügt, dass die Arbeitslosigkeit der jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren aber bei 19 Prozent liegt. Dieser Prozentsatz ist es aber, der zumindest teilweise die Daten der alljährlichen Studie der Stiftung Migrantes zum Thema „Italiener in der Welt“ erklärt: Immer mehr Italiener packen ihre Sachen und wandern aus.

So waren am 1. Jänner dieses Jahres 6,4 Millionen in den Listen der im Ausland residierenden Italiener eingetragen. In den letzten 20 Jahren sind insgesamt 1,6 Millionen Italiener ausgewandert, davon sind nur 826.000 zurückgekommen. Dabei handelt es sich vornehmlich um junge Leute.

Rekordzahl

Begonnen hat die Flucht 2012 mit der Finanzkrise: 150.000 Italiener packten ihre Koffer. Damals war die Arbeitslosenquote doppelt so hoch wie jetzt. Umso erstaunlicher ist es, dass im Vorjahr 190.000 Italiener ausgewandert sind. Das ist die höchste Zahl seit Jahrzehnten.

Dahinter stecken mehrere Gründe. Zu den wichtigsten zählt das Gehalt: Laut Eurostat betrug 2024 das Durchschnittsnettoeinkommen bei Vollbeschäftigung in Italien 24.797 Euro, in Österreich waren es stattdessen 41.747 Euro und in Deutschland 39.594 Euro. Der Durchschnittseinkommen in der EU lag bei 32.347 Euro.

Ludovica ist 40 Jahre alt und Regisseurin. Sie kommt aus Mailand, lebt jetzt in Brüssel. "Als Freelancerin in diesem Beruf hätte ich in Italien nie und nimmer leben können“, sagt sie dem KURIER. "In Belgien gibt es für uns eine Kassa, in die man einzahlt, und nicht wenig. Dafür bekommt man im Gegenzug, wenn man keine Aufträge hat, einen Überbrückungsbetrag.“

Vincenzo, Vater von zwei Töchtern, beklagt: "Meine ältere Tochter, heute 36 Jahre alt, mit Masterabschluss von der Mailänder Universität Cattolica, verdient in Mailand nach 11 Jahren 2.200 Euro im Monat. Meine jüngere mit einem Bachelor-Abschluss an der Mailänder Wirtschaftsuni Bocconi verdient nach 18 Monaten in Utrecht 4.200 Euro im Monat.“

Nicht nur eine Geld-Frage

Auffallend: Laut Studie "fliehen“ die meisten Italiener aus Sizilien (844.000), gefolgt von der eigentlich wohlhabenden Lombardei (690.000). Den Emigranten geht es neben dem geringen Gehalt und fehlenden Karrierechancen auch um die Lebensqualität und das soziale Umfeld.

Das erklärt, warum gleich hinter Deutschland, wo sich 2024 knapp 20.000 Italiener niedergelassen haben, Spanien mit knapp 19.000 eingewanderten Italienern rangiert. Wer Spanien als Wahlheimat wählt, dem geht es nicht so sehr um das Gehalt, sondern um einen gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine weitaus offenere Politik und Gesellschaft – das gilt für Themen wie gleichgeschlechtliche Partnerschaften bis zur Sterbehilfe.

Es sind aber nicht nur die gebürtigen Italiener, die Italien verlassen: In den vergangenen zwei Jahren hatte von fünf Italienern, die ausgewandert sind, einer erst seit Kurzem die italienische Staatsbürgerschaft.

Und dann sind da noch die eine Million Süditaliener, die in den letzten zehn Jahren nach Norditalien gezogen sind. Die Regierung von Meloni kennt das Problem, einen Plan, um das Ausbluten zu stoppen, hat sie nicht.

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