Russlands Soldaten: Ohne Plan, ohne Schutz und ohne Befehle in den Tod

Russlands Soldaten: Ohne Plan, ohne Schutz und ohne Befehle in den Tod
Die New York Times dokumentiert in einer groß angelegten Serie das Desaster der russischen Kriegsführung in der Ukraine

Der Befehl kam aus heiterem Himmel und er war nicht gerade detailliert: „Morgen marschiert ihr in die Ukraine ein – und dort bringt ihr einmal ordentlich die Kacke zum Dampfen.“ So wurde es den Soldaten einer motorisierten Infanteriebrigade am Vorabend des 24. Februar mitgeteilt. Ein paar Stunden später saßen sie im Bauch ihres gepanzerten Fahrzeugs und hatten – so erinnern sich die Soldaten heute – keine Ahnung, wohin sie fuhren und was sie dort machen sollten.

Nur ein Beispiel für die Hintergründe des militärischen Desasters der russischen Armee in der Ukraine, die die New York Times umfassend wie noch kein Medium zuvor recherchiert hat.

Über Monate hat ein Team an Reportern russische Soldaten interviewt, Informationen der ukrainischen Geheimdienste ausgewertet und von den ukrainischen Truppen gefundene Unterlagen der russischen Militärführung im Detail analysiert. Das Ergebnis, das jetzt in einer groß angelegten Artikelserie veröffentlicht wurde, zeichnet ein erschreckendes Bild des Versagens. Von der Planung bis zu den aus Wikipedia ausgedruckten Bedienungsanleitungen für ihre Waffen, die man den kaum ausgebildeten Soldaten in die Hand drückte.

Russlands Soldaten: Ohne Plan, ohne Schutz und ohne Befehle in den Tod

Persönlich bereichert

Schon die Vorbereitungen der einzelnen Truppenteile der russischen Armee waren völlig unzureichend. Korruption und persönliche Bereicherung einzelner Offiziere hatten Geld, Waffen und Material verschwinden lassen. So wurden Kasernen, die noch aus der Sowjetunion stammten und völlig desolat waren, nie hergerichtet. Die Militärführung Moskau wurde regelrecht hinters Licht geführt, indem man die baufälligen ungeheizten Gebäude für eine Visite der Generäle erst im letzten Moment dekorierte.

Truppen, die durch die Ausbildung in diesen Ruinen schon völlig demotiviert waren, wurden dann durch offensichtlich inkompetente Generäle direkt in den Tod geschickt.

Ein Spaziergang

Die Militärführung bis hinauf zu Putin war bis zum Beginn des Einmarsches davon überzeugt, dass dieser eine Art „Spaziergang“ sein würde. Entsprechend unvorsichtig und zum Teil völlig stümperhaft lief die Invasion ab.

Schon die Luftangriffe durch die anfangs um das Zehnfache überlegene russische Luftwaffe liefen zum Teil völlig ins Leere. Die Ukrainer hatten ihre Luftabwehr, die man ja ausschalten wollte, kurzfristig verlegt. Eigentlich kein Problem für eine moderne Aufklärung. Doch die Offiziere ignorierten deren Ergebnisse und hielten stur an den zuvor festgelegten Zielen fest. So sollen bis zu 60 Prozent der russischen Raketen in den ersten Kriegswochen ins Leere getroffen haben. Die Chance auf Luftüberlegenheit über der Ukraine, Voraussetzung für rasche Erfolge, war damit vertan.

Völlig unrealistisch

Nicht nur deshalb waren die Erwartungen für diese Erfolge überzogen, die Pläne für den Vormarsch – wenn überhaupt vorhanden – völlig unrealistisch. Innerhalb weniger Stunden sollten motorisierte Einheiten, die an der ukrainischen Grenze zu Weißrussland gestartet waren, Kiew erreichen. So ist es auf den Zeitplänen, die in die Hände der Ukrainer fielen, vermerkt. Stattdessen aber blieben die Fahrzeugkolonnen schon beim Überschreiten der Grenze stecken – nicht aufgrund der Gegenwehr, sondern weil der Belag einbrach.

Der Vormarsch blieb stecken, die Verluste häuften sich, Aussicht auf Besserung gab es nicht. Verstärkung und Nachschub an Munition seien nämlich nicht vorgesehen, teilte man der Truppe mit.

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