Autos und die City: Soll Wien autofrei werden, Frau Mobilitätsstadträtin?

Mobilitätsstadträtin Ulli Sima
- Wien fördert klimafreundliche Mobilität und plant umfangreiche Begrünungsprojekte.
- Der PKW-Verkehr wird reduziert, während Radwege und öffentlicher Verkehr ausgebaut werden.
- Erfahrungen zeigen, dass verkehrsberuhigte Bereiche wirtschaftliche Vorteile bieten.
In Wien soll der Straßenraum mehr als nur Verkehrsfläche sein – sondern auch ein Ort des Miteinanders, der Bewegung und der Aufenthaltsqualität. Doch genau dieser Wandel bringt auch Diskussionen mit sich. Denn:
Wer bekommt wie viel Platz? Wo dürfen Autos noch fahren, wo entstehen neue Radwege, breitere Gehsteige oder Grünflächen? Projekte wie die Mariahilfer Straße oder die laufende Radwegoffensive zeigen, wie emotional über den öffentlichen Raum verhandelt wird.
Zwischen Anrainerinteressen, Klimazielen und Mobilitätsbedürfnissen stellt sich die Frage: Wie gelingt eine faire Verteilung – und wie viel Veränderung verträgt die Stadt?
Mobilitätsstadträtin Ulli Sima gibt Antworten.
Kurier: Weniger Platz für Autos, mehr für die Menschen: Wer mit den Öffis gut angebunden oder gut zu Fuß ist, findet das eine gute Idee. Wer auf das Auto angewiesen ist, weniger. Wie emotional ist dieses Thema?
Mobilitätsstadträtin Ulli Sima: Wir wollen die Menschen jedenfalls bei allen Veränderungen mitnehmen. Bei größeren Umgestaltungsprojekten werden die Bürger*innen im Rahmen von Befragungen und Beteiligungsverfahren von Anfang an aktiv mit eingebunden, wie etwa bei der Gestaltung der Argentinierstraße zur Fahrradstraße nach holländischem Vorbild, bei der Äusseren Mahü oder erst kürzlich bei der Umgestaltung der Simmeringer Hauptstraße. Die Menschen wünschen sich übrigens bei allen Befragungen mehr Begrünung und mehr Platz. Uns geht es immer darum, möglichst viele Interessen unter einen Hut zu bringen, das Miteinander im Verkehr ist zentral. Von unseren Umgestaltungsprojekten in der Stadt sollen alle profitieren. Wenn wir etwa einen Radweg bauen, schauen wir immer, dass auch Begrünung stattfindet. Wir pflanzen Bäume, legen Beete an, stellen Bänke auf und so profitiert das ganze Grätzl.
Was bedeutet "autofreie" Stadt überhaupt?
Wir haben das Ziel, bis 2040 klimaneutral zu sein, da spielt der Verkehrsbereich natürlich eine große Rolle. Wir wollen den PKW-Verkehr weiter reduzieren, eine gänzlich „autofreie“ Stadt ist in näherer Zukunft aber nicht unser Anliegen. Wir wollen die klimafreundliche Mobilität weiter fördern und deshalb bauen wir die Öffis, die Radwege und die Fußverbindungen weiter aus. Wir investieren in Wien dreimal so viel in Öffis als in den Bau und Erhalt von Straßen.
Wir bauen 20 km neue Radwege im Jahr, haben in den letzten 4,5 Jahren ganze 100 Mio. Euro in die Förderung der vielen „Raus aus dem Asphalt“-Projekte zur Begrünung und Verkehrsberuhigung in den Bezirken investiert. Und wir wollen in der kommenden Legislaturperiode endlich die verkehrsberuhigte Innere Stadt umsetzen, die 15.700 PKW-Einfahrten pro Tag in den 1. Bezirk weniger und ein Viertel weniger PKW-Stellplätze an der Oberfläche bedeuten würde. Wir sehen übrigens: Das Mobilitätsverhalten der Menschen ändert sich. Dreiviertel der Wiener*innen legen ihre Alltagswege bereits ohne Auto zurück, in Wien gibt es bereits mehr Jahreskarten,- als PKW-Besitzer. Die Privat-PKW-Dichte in unserer Stadt sinkt. Pro 1.000 Einwohner gibt es in der 2-Millionenstadt Wien 284,1 PKW, im Österreich-Schnitt liegt die Dichte bei 483,1. Wir sind also auf einem guten Weg.
Wie viel an öffentlichen Platz bekommen Autos derzeit in Wien? Wie hat sich das über die letzten Jahrzehnte entwickelt?
Seitdem ich das Mobilitätsressort Ende 2020 übernommen habe, hat die klimafreundliche Mobilität kontinuierlich mehr Platz bekommen. 2022 etwa haben wir endlich das flächendeckende Parkpickerl eingeführt, das hat in manchen Gebieten eine Reduktion der Stellplatzauslastung um bis zu -68% gebracht und einen Rückgang der abgestellten Autos mit Nicht-Wiener Kennzeichen um bis zu -89%! Die freigewordenen Flächen werden von den Bezirken für Begrünungsoffensiven und Ausbau der Radwege genützt – zwei Beispiel aus vielen sind die Wagramer Straße inklusive Straßenpark oder die Altgasse in Hietzing. Wir verteilen den Platz neu – etwa in der Praterstraße, wo wir für den Radhighway statt einer Fahrbahn einen 4,5 m breiten Zwei-Richtungs-Radweg errichtet und 51 neue Bäume gepflanzt haben. Mit unserer „Raus aus dem Asphalt“-Begrünungsoffensive haben wir seit 2021 320 Projekte in allen 23 Bezirken Wiens umgesetzt, in Umsetzung oder fix geplant. Das sind rund 400.000 Quadratmeter, inklusive Begrünung von mehr als 74.000 m² im Straßenraum und auf Plätzen.
Was ist in Wien für die kommenden Jahre geplant, welche Projekte laufen bereits?
Wie bereits erwähnt, läuft unsere große Radweg-Offensive auf Hochtouren. Für 2025 stehen weitere 24 km neue Radinfrastruktur am Programm. Zu den Highlights zählen etwa der weitere Ausbau der neuen 4 km langen Radverbindung in den Westen Wiens, hier wird gerade die Meiselstraße zur begrünten Fahrradstraße umgebaut. Auch auf der Alserbachstraße im 9. Bezirk werden heuer neue, moderne Radwege errichtet und zugleich gestalten wir dort auch den Julius-Tandler-Platz klimafit um. In Favoriten entsteht aktuell Wiens 1. Super-Grätzl und in Simmering folgt nach der bereits erwähnten Bürgerbefragung die Planung für die Umgestaltung der Simmeringer Hauptstrasse. Ich könnte das noch lange fortsetzen, aber Sie sehen ja selbst, dass wir in der ganzen Stadt umbauen und wir uns inmitten eines großen Transformationsprozesses befinden. Auch der Öffi-Ausbau geht weiter, etwa mit der Linie 12, der Verlängerung der Linie 18 und der Linie 27. Daneben läuft natürlich auch das Megaprojekt des U-Bahn-Ausbaus. In der kommenden Legislaturperiode steht außerdem die Umsetzung der bereits erwähnten verkehrsberuhigten Inneren Stadt am Programm.
Weniger Platz für Autos in der Stadt: Was bedeutet es für die Menschen, die in der Stadt wohnen, was für jene, die in arbeiten und besonders Gewerbetreibende?
Gerade die Corona-Zeit hat deutlich gemacht, dass sich die Menschen mehr Begrünung und wohnortnahe Möglichkeiten zur Erholung wünschen. Wir wollen den Menschen diesen Platz geben und in ganz Wien viele weitere „begrünte Wohnzimmer im Freien“ schaffen. Mit Begrünung und Verkehrsberuhigung sorgen wir außerdem für Kühlung und ein besseres Klima in der Stadt, wir bekämpfen urbane Hitzeinseln und sorgen dafür, dass die Menschen auch in den heißen Monaten zu Fuß in der Stadt unterwegs sein können und einen Platz zum Ausruhen finden. Das kommt allen Menschen, die in Wien leben und arbeiten, zugute. Auch jene, die ein Geschäft oder Lokal betreiben, profitieren von begrünten Flaniermeilen, in denen sich die Menschen gerne aufhalten.
Wer profitiert von weniger Autoverkehr in der Stadt, wer nicht? Was sind Vor-und Nachteile?
Wie gesagt, ich denke, alle Menschen in der Stadt profitieren von weniger Autoverkehr – von besserer Luft, weniger Lärm, weniger Hitze und mehr Platz für Begrünung. Die meisten Autofahrer*innen sind ja nicht immer nur mit dem Auto unterwegs, sondern auch zu Fuß, mit den Öffis oder dem Rad – und jeder freut sich doch als Anrainer*in, wenn das eigene Grätzl begrünt ist. Und wie bereits eingangs erwähnt – der überwiegende Teil der Wiener*innen nützt für die Alltagswege die Öffis, das Rad oder geht zu Fuß, nur 25 % sind mit dem PKW unterwegs.
Paris tut derzeit viel, um Autos weniger Platz zuzuweisen: Was kann man davon lernen?
Den Trend zu mehr Verkehrsberuhigung und Begrünung gibt es derzeit in vielen Städten weltweit, denn wir alle spüren die Auswirkungen des globalen Klimawandels. Wir haben in Wien in den letzten Jahren wirklich vieles bewegt und wir sind auch in Kontakt mit anderen Städten und schauen, was die machen. So sind die Superblocks in Barcelona Vorbild für unser erstes Supergrätzl in Favoriten, in Italien gibt es bereits viele verkehrsberuhigte Innenstädte, wie wir sie in der Inneren Stadt planen. Auch in London gibt es interessante Modelle für Verkehrsberuhigung.
In Wien ist die Mariahilfer Straße seit 2015 autofrei. Was für Lehren zieht man daraus?
Die Erfahrungen in der Mariahilfer Straße wie auch zahlreichen anderen Straßen zeigen: Gewerbetreibende profitieren von begrünten und gekühlten Flaniermeilen. Solche Zonen weisen eine gesteigerte wirtschaftliche Wertschöpfung auf. Aus diesem Grund unterstützt die Wirtschaftskammer Wien auch aktiv das Projekt der verkehrsberuhigten Inneren Stadt. Bei derartigen Projekten wie auch der Praterstraße oder der Mariahilfer Straße ist die Stadt bestrebt, die Interessen von Gewerbetreibenden zu berücksichtigen, etwa durch die Einrichtung von Ladezonen. Wir arbeiten hier sehr eng mit der Wirtschaftskammer zusammen und justieren bei Bedarf nach, wenn etwa Ladezonen fehlen.
Geschäftsleute beklagen derzeit die Umbaumaßnahmen in der Nisselgasse. 2023 wurde die Gasse umgestaltet, seither fehle es an Ladezonen und der Umsatz breche ein. Wie geht man mit solchen Herausforderungen um?
Die Nisselgasse wurde 2023 – nach einer umfassenden Bürger*innen Beteiligung - verkehrsberuhigt und zur begrünten Begegnungszone umgestaltet mit neuen Bäumen, Grünflächen und Sitzgelegenheiten. Der Bezirk meldet dazu übrigens viel positives Feedback seitens der Anrainer*innen. Soweit ich informiert bin, steht die eine Ladezone derzeit wegen einer Hochbaustelle nicht zur Verfügung. Es wurde aber bereits nachgebessert und eine zusätzliche Ladezone in der Penzinger Straße gleich bei der Kreuzung zur Nisselgasse eingerichtet. Wie gesagt, wenn es Bedarf gibt, wird gegebenenfalls nachjustiert. Wir setzen in der Stadt auf Dialog mit allen Beteiligten und dies hat sich bislang immer bewährt.
*Das Interview wurde schriftlich geführt.
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