Mit dem Golfbuggy durch London: Ein neues Konzept für die verstopfte Metropole

Mit dem Golfbuggy durch London: Ein neues Konzept für die verstopfte Metropole
Der britische Unternehmer Sam Bailey will Europas staureichste Stadt mit einer innovativen Sharing-Idee entlasten. Der KURIER hat das leuchtend gelbe Gefährt getestet - bei einer Fahrt bis ins hektische Stadtzentrum.

Zusammenfassung

  • Erfinder Sam Bailey will mit seinen Buggys den Verkehr in London entlasten
  • Die Miete für einen Buggy beträgt 24 Cent/Minute
  • Aktuell stehen zehn Fahrzeuge zur Verfügung

Der Blick wandert rechts-links-rechts – und sicherheitshalber noch einmal zurück. Man ist ja doch etwas ungeschützter als gewohnt unterwegs. Aber als die enge Londoner Seitengasse frei bleibt, drückt der Fuß aufs Gaspedal – und das Gefährt hüpft so schnell nach vorne, dass es einen kurz nach hinten drückt und man holprig aus der Parklücke rollt. 

Wenige Sekunden später gleiten wir lautlos am Parsons Green entlang. Der kalte, englische Wind peitscht ins Gesicht, und schnell wird klar: Es war eine gute Entscheidung, Sam Baileys Rat zu folgen – „Zieh Handschuhe an.“ Denn dieses Fahrzeug hat weder eine geschlossene Karosserie noch Fenster. Stattdessen rollen wir zwischen schwarzen Taxis und weißen Lieferwagen in einem modifizierten Golfcart durch Fulham.

Der Lückenfüller

Sam Bailey, der Mann hinter dieser Idee sitzt links auf dem Beifahrersitz. Fragt man den 50-jährigen Briten nach seinem Beruf, sagt er schlicht: „Ich bin Erfinder.“ Er sehe Lücken im System und fülle sie mit Innovationen. 

Mit dem Golfbuggy durch London: Ein neues Konzept für die verstopfte Metropole

Yo-Go Erfinder Sam Bailey will die Straßen Londons entlasten

2017 brachte er den LeakBot auf den Markt, ein Gerät zur Früherkennung von Wasserlecks in Rohren. Fünf Jahre später folgte Pippa, das weltweit erste Wärmebild-Überwachungssystem für Herde, das Brände verhindern soll. Und nun also die Yo-Gos.

Im Rückspielgel taucht ein schwarzes Taxi auf – sollten wir es besser überholen lassen? Doch zwei Straßen später biegt es von selbst ab, ohne uns je richtig nahe gekommen zu sein. „Die Autos kommen in London oft nicht über 20 Meilen pro Stunde hinaus“, sagt Sam, während es auf der New Kings Road stadteinwärts geht. Genau so schnell fährt auch das Yo-Go-Fahrzeug.

Mit dem Golfbuggy durch London: Ein neues Konzept für die verstopfte Metropole

London ist die verstopfteste Stadt Europas

„Ich wollte ein Fahrzeug entwickeln, das die Stadt entlastet“, fährt Sam Bailey fort. „London ist die verstopfteste Stadt Europas – letztes Jahr haben Autofahrer hier im Schnitt 101 Stunden im Stau verbracht.“ Seine Überlegung: Braucht es wirklich eine Tonne Stahl, um eine einzelne Person von A nach B zu befördern? 70 Prozent aller Fahrten in London sind kürzer als fünf Kilometer. Ebenso viele werden ohne Beifahrer oder Gepäck angetreten. Warum also nicht eine kleinere, effizientere Lösung? Die Inspiration kam von den kleinen vierrädrigen Fahrzeugen auf Flughäfen und in großen Resorts.

Die schlechte Luft der anderen

Die Ampel springt auf Rot, und wir kommen hinter einem Kleinlaster zum Stehen. Nach wenigen Sekunden folgt die Reue, nicht etwas mehr Abstand gehalten zu haben – durch die offene Bauweise dringen nicht nur der Wind, sondern auch die Abgase direkt in die Nase. Wer die Stadt mit einem Yo-Go entlastet, muss momentan noch die schlechte Luft der anderen in Kauf nehmen

„Und dabei sind es nur einige wenige, die den meisten Verkehr verursachen“, sagt Sam. „90 Prozent aller Fahrten werden in London von nur neun Prozent der Bevölkerung getätigt.“ Genau hier will er ansetzen. Seine leuchtend gelben Yo-Gos sind elektrisch betrieben, stoßen keine Abgase aus, behindern durch ihre offene Struktur nicht die Sicht und passen quer in eine Parklücke

Mit dem Golfbuggy durch London: Ein neues Konzept für die verstopfte Metropole

Vier Jahre dauerte es, bis sein Buggy straßentauglich war. „Wir mussten Sitzgurte, Bremsen und Lichter einbauen, damit er eine Straßenzulassung bekommt.“ Im vergangenen Sommer wurden die Zertifikate ausgestellt, und seit Oktober stehen die ersten zehn Fahrzeuge in Fulham zur Verfügung. 

Neugier und wenig Gegenwind

Wer nutzt die Yo-Gos nun?  Eltern, die ihre Kinder in die Schule, zum Schwimm- oder Klavierunterricht am Nachmittag bringen. Handwerker, die sich so die City-Maut für ihren Transporter sparen. Oder Sozialarbeiter, die damit ihre Klienten besuchen.

Der Umgebung fällt man jedenfalls auf: Ein Essenslieferant am E-Scooter hebt amüsiert die Augenbrauen. „He, cool!“, ruft eine Gruppe Teenager und streckt den erhobenen Daumen entgegen. Es gibt - zumindest im übertragenen Sinn - überraschend wenig Gegenwind. Nur ein einziges Mal hupt ein Lkw-Fahrer, als wir an einer Kreuzung warten, während ein Transporter einparkt. Aber mit einem Buggy will man sich nicht im toten Winkel eines Lasters wiederfinden.

Mit dem Golfbuggy durch London: Ein neues Konzept für die verstopfte Metropole

Und dann taucht viel schneller als erwartet, die mächtige Kuppel des Victoria and Albert Museum vor einem auf. Auf der zweispurigen Straße ohne Glaswand vorbeizubrausen, hat etwas Aufregendes

Der einzige Haken: Noch gibt es nur zehn Fahrzeuge, sodass sie nicht wie andere Sharing-Modelle flexibel abgestellt werden können. Man muss sie zurück zum Ausgangspunkt bringen. Zum Glück übernimmt Sam wieder das Steuer – und wir tauchen ins Getümmel von South Kensington ein.

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