Warum uns der iranische Angriff auf Ain al Assad nicht egal sein sollte

Warum uns der iranische Angriff auf Ain al Assad nicht egal sein sollte
Oberstleutnant des Generalstabsdienstes, Dr. Markus Reisner, analysiert für den KURIER die Ereignisse im Irak.

In den letzten Tagen wurden wir Zeuge eines Ereignisses, welches Geschichte schreiben wird. Die mächtigsten Streitkräfte der Welt haben es zugelassen, dass einer ihrer wichtigsten Luftwaffenstützpunkte im Irak durch den Iran mit ballistischen Raketen zielgenau angegriffen wurde. Das gab es bis jetzt noch nicht, und aus militärisch-strategischer Sicht kann dieser iranische Erfolg als Wendepunkt betrachtet werden.

Die USA waren offensichtlich nicht in der Lage gewesen, mit ihren im Raum vorhanden Luftabwehrsystemen unterschiedlicher Reichweite, trotz Vorwarnung des Iran, die einfliegenden Raketen abzuschießen. Der Iran war somit in der Lage der Welt zu zeigen, dass er die Fähigkeit besitzt, zielgenau lokal begrenzte Ziele innerhalb der Reichweite seiner Raketen anzugreifen. So wie der Welt im September 2019 vorgeführt wurde, dass es möglich ist mit Drohnen und Marschflugkörpern saudische Erdölanlagen punktgenau zu attackieren. Und gerade zu diesem Vorfall hat ein UN-Bericht gestern treffend festgestellt, dass es nicht die aufständischen jemenitischen Huthi-Rebellen gewesen waren.

In den internationalen Medien wird nun über ein mögliches, gegenseitig abgesprochenes, Gesicht wahrendes Handeln von beiden Seiten spekuliert. In Wahrheit dürften die USA nicht auf diese iranische Reaktion vorbereitet gewesen sein. Sehr zum Leitwesen der Israelis, welche immer wieder auf diese Bedrohung hingewiesen hatten.

Gemäß der Aussage des US-Präsidenten möchte man nun wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Doch was bleibt tatsächlich? Was wurde aufmerksam in informierten Fachkreisen festgestellt? Der Umstand, dass es möglich ist, eine wichtige regionale Militärbasis der Vereinigten Staaten von Amerika gezielt mit Raketen anzugreifen. Dies ist eine Zäsur in der Sicherheitspolitik. Und sie wird die Welt nicht sicherer machen, denn Regime haben erkannt, dass es möglich ist ungeniert regionale Machtpolitik zu betrieben. Über gesteuerte Hilfstruppen in den unmittelbaren Ländern der Umgebung, zum Zwecke der Destabilisierung von Regierungen für die eigenen Interessen.

Die USA werden diese Schmach des ertragenen Angriffs nicht auf sich sitzen lassen! Sie werden alles daransetzen, dass der Iran zukünftig nicht mehr dazu in der Lage sein wird mittels seiner Raketen Macht zu projizieren und Effekte zu erzielen. Ähnlich wie es auch Israel tut, welches auf jede Bedrohung seines Staatsgebietes und seiner Bevölkerung umfangreich reagiert.

Sei es durch den Einsatz von Raketenabwehrsystemen unterschiedlicher Fähigkeit, durch den Einsatz seiner Luftstreitkräfte oder gar durch gezielte präventive Cyberverteidigung. Selbst wenn dies Maßnahmen eigene Verluste bedeuten würden. So wie im Februar 2018, als eine iranische, mit Sprengstoff beladene Drohne in den israelischen Luftraum einflog. Israel reagierte sofort und umfassend und verlor dabei sogar, das erste Mal seit 1982, ein eigenes Kampfflugzeug. Aber die Botschaft war klar. Angriffe wie diese können und werden nicht geduldet werden.

Man kann nun darüber diskutieren wer zu welcher Zeit des Konflikts zwischen der USA und dem Iran welche Reaktion gesetzt hat, ob es legitim ist, dass der Iran ein eigenes Atomprogramm hat oder nicht, ob es Rechtens ist, dass die USA Militärbasen im Irak unterhalten, warum man überhaupt 2003 dort einmarschiert ist und ob nicht alles eigentlich der Wiederwahl des derzeitigen Präsidenten dienen soll!

Mit diesen Fragen können sich politische Zirkel befassen. Und sollte jemand gar Schadenfreude empfinden, er sollte sie durch Besorgnis ersetzen. Denn die Hauptnachricht, welche in weiten Teilen der Welt genau gehört wurde, welche in russischen und chinesischen aber auch in europäischen militärischen Hauptquartieren aufmerksam notiert wurde ist: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nicht unangreifbar. Diese Feststellung wird, ob es uns passt oder nicht, die Sicherheitslage der Welt nicht besser machen.

Die tatsächlichen ersten Opfer in diesem neuen „freien Spiel der Kräfte“, sind aber Unbeteiligte. Es sind die Besatzungen und Passagiere von Iran Air 655, der malaysischen MH17, sogar einer russischen IL-20 Aufklärungsmaschine oder wie offensichtlich vor wenigen Tagen, PS752, die ukrainische Passagiermaschine. Sie alle wurden Opfer in Konflikten, wo die Grenzen zwischen sicherem Abwägen und Entscheiden auf der einen und fehlerhaftem Handeln auf der anderen verschwommen sind.

Wo keiner mehr weiß, wer eigentlich der Feind ist. Und wo das internationale Recht, und hier vor allem das Recht „zum“ und „im“ Krieg niemanden mehr interessiert. Obwohl sich die Staaten nach den Schrecken der Kriege des 20. Jahrhunderts geschworen haben, dass dies nie mehr der Fall sein würde.

Willkommen also in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts. Sie wird es auch von uns in Europa verlangen Bekenntnis abzulegen zu den tatsächlichen Zielen und Absichten einer vorausschauenden Sicherheitspolitik. Das bloße Aufrufen zur Räson wird zu wenig sein. Das Kriegsbeil auszugraben, ebenfalls. Ein ernsthaftes Auseinandersetzen mit den geopolitischen Entwicklungen kann ein erster Anfang sein. Denn in der Sicherheitspolitik haben lokale Ereignisse oft globale Folgen. Dies sollte man nicht nur in den Brüsseler Restaurants, sondern auch in den Kaffeehäusern am Wiener Graben verstehen. Denn auch ein Cyberangriff könnte bald schlimmere Folgen haben als ein paar halbherzige Pressemeldungen.

Oberstleutnant des Generalstabsdienstes Mag.(FH) Dr. Markus Reisner lehrt an der Theresianischen Militärakademie und gilt unter anderem als Experte auf dem Gebiet des Drohnenkriegs und der Künstlichen Intelligenz.

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