Allein das Prinzip Marmeladenkrapfen ist schon völlig verfehlt: Wer braucht in einem Ess-Objekt, das per se schon aus Fett und Zucker besteht, diesen geradezu vulgär süßen Kern, diese plakative Marmeladen-Performance aus noch mehr Zucker und eindimensionaler Fruchtvortäuschung?
Wer wünscht sich zu picksüß noch mal picksüß dazu? Esst ihr auch eine Fleischbeilage zum Schweinsbraten?
Im Gegensatz dazu birgt der Vanillekrapfen ein Versprechen an geschmacklicher Friedfertigkeit, eine Entlastung, ja
Reinigung der Zunge dann, wenn sie diese – erschöpft vom umgebenden Teig – am dringendsten braucht, ganz ähnlich einem erfreulichen Happen eingelegten Ingwers zwischen den Sushis. Vanille im Krapfen ist etwas für Menschen, die sich vor Nuancen nicht fürchten, die Ambivalenztoleranz in einer komplizierten Welt beweisen, die quasi beim Essen auf die Komplexität der klassischen Musik setzen und nicht auf die Eindimensionalität der Schlagermusik.
Vanillekrapfen sind Krapfen für Fortgeschrittene, sie sind die klar besseren Krapfen, und ab jetzt übernehme ich die Kochkolumne!
Georg Leyrer leitet das Kultur-Ressort
CONTRA:
Das Kulinarik-Portal TasteAtlas hat unlängst die 50 ekelhaftesten Gerichte der Welt gelistet – darunter gefrorener russischer Fischsalat, frittierte Vogelspinne aus Kambodscha und kolumbianische Blattschneideameisen, die für ihre bitteren Hintern geschätzt werden. Wie Recherchen ergeben haben, dürfte ein redaktioneller Fehler dafür verantwortlich sein, dass sich der Vanillekrapfen nicht auf der Liste findet.
Er ist eine Art ordinärer kleiner Bruder des Marillenmarmeladenkrapfens, und das beweist er nicht erst am Gaumen. Schon optisch zeichnet sich der Vanillekrapfen durch schlechten Geschmack aus. Während der Marmeladenkrapfen als Gesamtkunstwerk mit Perfektion besticht – fein gesiebter Staubzucker legt sich makellos um seine zarten Rundungen –, ist der Vanillekrapfen bizarr verunstaltet. Mal trägt er fettige Cremetupfen, die beim Transport verschmieren, mal wird er lieblos mittig aufgeschnitten, um Platz für die künstlich-chemische Puddingmasse zu schaffen. Das ist nur was für Kulturbanausen.
(Die Suche nach dem kleinen Loch, das den Genuss des Marmeladekrapfens für Feinsinnige auch zum spielerischen Vergnügen macht, entfällt obendrein. Schade.)
Historische Dokumente dürften übrigens belegen, dass die stillose Präsentation als Warnung gedacht ist – um Gourmets, deren Geschmacksknospen nach dem süß-säuerlichen Aromenspiel der Marille lechzen, davor zu bewahren, unabsichtlich in einen Vanillekrapfen zu beißen.
Und als Beilage zum Schweinsbraten passen übrigens hervorragend Ripperl.
Christoph Schwarz leitet das Chronik-Ressort.
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