Pure Nostalgie? Romantische Verklärung? Gar gefährlicher Chauvinismus? Mitnichten. Das Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955 erklärt in Art. I Abs. 1 die „immerwährende Neutralität“. Die Betonung liegt auf immerwährend und nicht nur eben so mal aus kurzfristigen, strategischen Überlegungen. Seit dem EU-Beitritt wird der Begriff situationselastisch ausgelegt, gilt nur militärisch, nicht mehr politisch. Österreich bringt sich aktiv in die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ein und ist NATO-Kooperationspartner. Dafür, und um die Neutralität zu verteidigen, braucht es ein gut ausgestattete, schlagkräftige Armee.
Militärische Neutralität bedeutet aber auch keine Teilnahme an Kriegen, keine Mitgliedschaft in Militärbündnissen und keine fremden Militärbasen im Land. Stattdessen könnten „Neutrale“ sich auf ihre Rolle als Brückenbauer zwischen Kriegsparteien besinnen und Frieden vermitteln.
Die Neutralität ist Teil der österreichischen Identität und brachte das Land 70 Jahre lang durch gute und schlechte Zeiten. Sie abzuschaffen wäre eine „immerwährende“ Entscheidung für alle kommenden Generationen, die dann ein anderes Leben hätten.
CONTRA
Wolfgang Unterhuber, Mitglied der Chefredaktion
Die Neutralität Österreichs ist de jure längst so gut wie abgeschafft. Mit dem Beitritt zur EU 1995 ist Österreich nicht nur einer Wirtschafts-, sondern auch einer Sicherheitsunion beigetreten. Diese Sicherheitsunion wurde nach und nach vertieft. Zentral ist dabei der Artikel 42 (7) des EU-Vertrages. Der sieht vor, dass bei einer bewaffneten Aggression gegenüber einem EU-Mitgliedstaat alle anderen zur Hilfeleistung verpflichtet sind.
Ob das jetzt aus österreichischer Sicht Kampfeinsätze bedeuten würde oder nur die Lieferung von Mullbinden, ist einerlei. Die EU ist ein Militärbündnis. Die zentrale Bestimmung des Neutralitätsgesetzes – die Bündnisfreiheit – ist damit aufgehoben. Dazu kommt, dass die Politik das Bundesheer über die Jahrzehnte zu Tode gespart hat. Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung, die auch Bestandteil der Neutralität sein müsste, wurde damit ad absurdum geführt. Die Politik schleicht um all das herum. Zu unpopulär wäre es, der Bevölkerung die Wahrheit zuzumuten. Denn die Neutralität gehört inzwischen zur Brauchtumspflege, die man zu bestimmten Anlässen wie eine Monstranz vor sich herträgt.
Zeitgemäß ist sie aber nicht mehr! Nicht nur, weil Russland eine revanchistische Politik verfolgt. Militärische Aggression findet längst nicht nur mehr auf Schlachtfeldern statt, sondern auch im digitalen Raum. Sollte je eine ausländische Macht in Österreich einen Blackout verursachen wollen, wir wären dem allein auf sich gestellt schutzlos ausgeliefert. So sieht’s aus.
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