PRO
Sarah Emminger , Außenpolitik-Redakteurin
Wir haben es gut. Das sagt meine Oma oft, wenn sie die Nachrichten schaut, und ich stimme ihr zu. Ich liebe meine Heimat – ihre Landschaft, Kultur, Demokratie. Ich bin dankbar für die Möglichkeiten, die wir haben. Trotzdem schäme ich mich dafür, Österreicherin zu sein, und das hat vor allem mit der Politik zu tun.
Nicht unbedingt, weil sie seit Monaten keine Regierung zustande bringt. Durchaus aber, weil Parteien vor Wahlen riesige Budgetlöcher verheimlichen. Weil sie das eine hoch und heilig versprechen und dann doch das andere machen. Weil wir, wie diese Woche, im Korruptionsranking abrutschen. Und ja, auch, weil der Wahlsieger der Meinung ist, dass Recht der Politik zu folgen hat. „Aber das ist doch nicht nur bei uns so“, werden jetzt manche entgegnen. Stimmt. Aber meine Scham hat gar nicht so viel mit den anderen zu tun, mit dem internationalen Aufschrei nach Skandalen oder Freunden aus dem Ausland, die fragen, was bei uns schon wieder los sei.
Es geht um uns. Und darum, wie Politiker mit Ibiza, Falschaussagen und Machtstreitereien in den letzten, von schweren Krisen geprägten Jahren unser Vertrauen in sie und auch ihres untereinander immer mehr verspielt haben. Wir müssen uns schämen – weiterhin, öffentlich, laut –, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Denn folgen wir blind Politikern, die uns mit einfachen Lösungen eine heile Welt versprechen, und verstecken wir uns dabei hinter Patriotismus, dann verliert Österreich vielleicht vieles von dem, worauf wir tatsächlich stolz sein dürfen.
CONTRA
Ingrid Steiner, Ressortleiterin Außenpolitik
Warum sollte ich? Mich für etwas zu schämen, hieße ja, mich für etwas verantwortlich, vielleicht sogar schuldig zu fühlen, das auf meine eigene Kappe geht. Weder aber war ich Teil der nun – wiederholt – vergeigten Koalitionsgespräche noch bin ich Politikerin. Nein, ich geniere mich nicht für die österreichische politische Kultur, aber ich kritisiere sie. Ich ärgere mich über Politiker, die die Schuld am Scheitern immer nur bei den anderen sehen; über Parteien und deren Funktionäre, die vergessen haben, dass Kompromisse im eigenen Haus beginnen. Freunderlwirtschaft? Korruption? Schlamperei? – Ja, das alles gibt es in Österreich. Es beginnt schon beim begehrten Schulplatz, den aus irgendeinem Grund zwar die Bekannten mit den guten Beziehungen zu einer bestimmten Partei bekommen, das eigene Kind aber nicht. Es reicht bis zum – öffentlich ausgeschriebenen – Job, der natürlich längst schon vergeben ist. Alles höchst ärgerlich, und nichts wird besser angesichts der Tatsache, dass es in den meisten anderen europäischen Ländern auch nicht runder läuft. Meine paar Lebensjahre in Belgien haben jedenfalls bewiesen: Man kann noch weitaus länger als 136 Tage ergebnislos um eine Koalition verhandeln. Und wer im Ausland lebt, hat sicher schon die Erfahrung gemacht, dass die viel gescholtene Bürokratie in Österreich durchaus noch übertroffen werden kann. Was nicht heißen soll, dass hierzulande eh alles dulli ist: Aber besser als sich zu genieren ist es auf jeden Fall – zu protestieren und etwas dagegen zu unternehmen.
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